Die Eisprinzessin schläft
richtig durchgebraten war. Als Gemüsebeilage hatte sie kurz gekochte Zuckererbsen gewählt, und die schüttete sie in genauso eine Schüssel aus Rörstrandporzellan wie die, in der die Quetschkartoffeln lagen. Gemeinsam trugen sie alles ins Eßzimmer. Sie wartete so lange, bis er sich bedient hatte, bevor sie die Bombe platzen ließ.
»Julia ist von Nelly Lorentz als Universalerbin eingesetzt.«
Patrik war gerade dabei, einen Schluck aus seinem Glas zu nehmen, und offensichtlich bekam er den Wein in die falsche Kehle, denn er hustete und griff sich an die Brust. Seine Augen tränten von dem Malheur. »Entschuldige, was hast du gesagt?« fragte er mühsam.
»Ich habe gesagt, daß Julia die einzige Erbin von Nellys Vermögen ist. Das steht im Testament«, entgegnete Erica ruhig und goß ihm etwas Wasser ein, damit er den Husten bekämpfen konnte.
»Wage ich überhaupt zu fragen, wie du das wissen kannst?«
»Weil ich ein bißchen in Nellys Papierkorb herumgeschnüffelt habe, als ich bei ihr zum Tee war.«
Patrik bekam einen erneuten Hustenanfall und schaute Erica ungläubig an. Während er fast das ganze Wasserglas in einem Zug austrank, fuhr Erica fort: »Es lag eine Kopie des Testaments im Papierkorb. Dort stand klar und deutlich, daß Julia Carlgren das Vermögen von Nelly Lorentz erben soll. Ja, natürlich bekommt Jan sein Erbteil, aber der Rest geht an Julia.«
»Weiß Jan davon?«
»Keine Ahnung. Aber wenn ich raten soll, würde ich sagen - nein, das weiß er wohl nicht.«
Erica sprach weiter, während sie sich von dem Gericht auftat.
»Ich habe Julia, als sie hier war, übrigens gefragt, wieso sie Nelly Lorentz so gut zu kennen scheint. Natürlich bekam ich nur Nonsens zur Antwort, nämlich daß sie Nelly kennt, weil sie ein paar Sommer in der Konservenfabrik gearbeitet hat. Ich zweifle nicht daran, daß es so war, aber den Rest der Wahrheit hat sie ausgespart. Kein Zweifel, daß ihr das Thema höchst unlieb war.«
Patrik wirkte nachdenklich. »Ist dir aufgefallen, daß es dadurch in dieser Geschichte zwei äußerst ungleiche Paare gibt? Paare, die geradezu undenkbar wirken, würde ich sogar sagen. Alex und Anders und jetzt Julia und Nelly. Und was ist bei der Sache der kleinste gemeinsame Nenner? Wenn wir den finden, denke ich, halten wir die Lösung des Ganzen in Händen.«
»Alex. Ist Alex nicht der kleinste gemeinsame Nenner?«
»Nein«, sagte Patrik, »ich glaube, das wäre ein bißchen zu einfach. Da ist noch was anderes. Etwas, das wir nicht sehen können oder nicht verstehen.« Er fuchtelte eifrig mit der Gabel.
»Und dann haben wir Nils Lorentz. Oder besser gesagt, sein Verschwinden. Du hast doch zu der Zeit in Fjällbacka gewohnt, was hast du davon in Erinnerung?«
»Ich war damals noch ziemlich jung, und Kindern erzählt ja niemand was. Aber ich weiß noch, daß es eine Menge Geheimnistuerei um die Sache gab.«
»Geheimnistuerei?«
»Ja, du weißt schon, Gespräche, die unterbrochen werden, wenn man ins Zimmer kommt. Erwachsene, die sich mit leiser Stimme unterhalten. >Psst, die Kinder müssen es nicht hören< und ähnliche Kommentare. Mit anderen Worten, ich weiß nicht mehr, als daß es zur Zeit von Nils’ Verschwinden eine Menge Gerede gab. Ich war zu klein und habe nichts erfahren.«
»Hm, ich werde wohl etwas tiefer nachgraben. Das kommt auf die Liste der Dinge, die ich mir für morgen vornehme. Aber jetzt bin ich zum Essen bei einer Frau, die nicht nur toll aussieht, sondern auch großartig kochen kann. Auf das Wohl der Gastgeberin.«
Er erhob das Glas, und Erica wurde ganz warm von dem Kompliment. Nicht so sehr, weil er das Essen lobte, sondern weil er fand, daß sie toll aussah. Wieviel einfacher doch alles wäre, wenn man die Gedanken des anderen lesen könnte. Dieses ganze Spiel wäre unnötig. Statt dessen saß sie hier und hoffte, daß er ihr irgendeinen kleinen Wink gab, ob er interessiert war oder nicht. Als Teenager konnte man es sich leisten, so eine Sache auf gut Glück zu versuchen, aber mit den Jahren war es, als würde das Herz immer unelastischer werden. Der Einsatz wurde höher und die Beschädigung des Selbstvertrauens mit jedem Mal größer.
Nachdem sich Patrik dreimal nachgenommen hatte und Mord und Totschlag seit langem abgehakt waren - statt dessen hatten sie sich über Träume, das Leben an sich und diverse Weltfragen unterhalten -, setzten sie sich in die Veranda, um dem Magen vor dem Dessert eine kleine Pause zu gönnen. Jeder von ihnen saß in
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