Die Eisprinzessin schläft
herunterzuholen.
Als er sich im Wohnzimmer umsah, war da jedoch ein Punkt, durch den sich diese Szene hier deutlich von den Selbstmorden durch Erhängen unterschied, die er bisher gesehen hatte. Es gab keine Möglichkeit, daß Anders nach oben geklettert sein konnte, um den Kopf unter der Decke in die Schlinge zu stecken. Weder Stühle noch Tische in der Nähe. Anders hatte wie ein makabres menschliches Mobile frei im Raum geschwebt.
In weitem Kreis ging Patrik vorsichtig um die Leiche herum. Anders’ Augen standen offen und starrten geradeaus in die Luft. Patrik konnte nicht anders, als sich zu bücken und dem Toten die Augen zu schließen. Er wußte, daß er keinerlei Kontakt mit der Leiche haben durfte, bevor der Gerichtsmediziner gekommen war, eigentlich hätte man sie nicht einmal herunterholen dürfen, aber irgend etwas an dem stieren Blick erzeugte ein Kribbeln in seinen Nervenenden. Ihm war, als folgten ihm diese Augen durch den Raum.
Er konstatierte, daß das Zimmer ungewöhnlich kahl wirkte, und bemerkte in dem Moment, daß sämtliche Bilder von den Wänden verschwunden waren. Zurückgeblieben waren nur große, häßliche Flecke an den Stellen, wo sie gehangen hatten. Ansonsten war das Zimmer genauso verlottert, wie er es von seinem letzten Besuch her in Erinnerung hatte, aber damals hatten die Bilder es irgendwie aufgehellt. Sie hatten Anders’ Zuhause mit seiner Kombination aus Schönheit und Schmutz einen gewissen dekadenten Anstrich verliehen. Jetzt wirkte es nur dreckig und widerwärtig.
Lena redete unaufhörlich in ihr Handy. Nach einem Gespräch, bei dem er sie nur einsilbig antworten hörte, klappte sie ihr kleines Ericsson-Teil zu und wandte sich an Patrik. »Wir bekommen Verstärkung von Leuten der Gerichtsmedizin zur Tatortuntersuchung. Sie fahren jetzt in Göteborg los. Wir dürfen nichts anrühren. Ich schlage vor, daß wir sicherheitshalber draußen warten.«
Sie gingen in den Gang, und Lena machte vorsichtig die Tür zu und verschloß sie mit dem Schlüssel, der an der Innenseite gesteckt hatte. Die Kälte war durchdringend, als sie vor dem Haus standen, und beide stampften leicht auf der Stelle.
»Wo hast du Janne gelassen?« Lenas Kollege hätte eigentlich mit ihr im Streifenwagen sitzen müssen.
»Er macht heute KiBe.«
»KiBe?« Patriks Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
»Kinderbetreuung. Das Gör ist krank. Aufgrund aller Streichungen konnte keiner kurzfristig einspringen, also mußte ich allein los, als der Notruf kam.«
Patrik nickte zerstreut. Er war geneigt, Lenas Theorie zuzustimmen. Es gab vieles, was dafür sprach, daß sie es hier mit ein und demselben Mörder zu tun hatten. Zu rasche Schlußfolgerungen zu ziehen war zwar fast das Gefährlichste, was ein Kriminalbeamter tun konnte, doch die Chance, daß es hier in diesem kleinen Ort gleich zwei Mörder geben sollte, war einfach verschwindend klein. Wenn man hinzufügte, daß zwischen den beiden Opfern eine starke Verbindung existiert hatte, wurden die Möglichkeiten noch geringer.
Sie wußten, daß die Fahrt von Göteborg hierher mindestens anderthalb, vermutlich sogar zwei Stunden dauern dürfte, und um die Kälte durchzustehen, setzten sie sich in Patriks Auto und drehten die Heizung auf. Auch das Radio wurde eingeschaltet, und lange Zeit saßen sie schweigend da und lauschten fröhlicher Popmusik. Sie genossen sie als willkommenen Kontrast. Nach einer Stunde und vierzig Minuten sahen sie zwei Streifenwagen auf den Parkplatz einbiegen und stiegen aus dem Auto, um der Verstärkung entgegenzugehen.
»Jan, bitte, können wir uns nicht eine eigene Villa anschaffen? Ich habe gesehen, daß eins der Häuser bei Badholmen zum Verkauf steht. Können wir nicht hinfahren und es uns ansehen? Es hat die wunderbarste Aussicht, und ein kleines Bootshaus gehört auch dazu. Bitte!«
Lisas quengelige Stimme ließ seine Gereiztheit nur noch ansteigen. Das schaffte sie neuerdings fast immer. Mit ihr verheiratet zu sein wäre bedeutend angenehmer, wenn sie nur so vernünftig wäre, die Klappe zu halten und einfach bloß hübsch auszusehen. In letzter Zeit hatten nicht mal ihre großen, festen Brüste und ihr runder Po ihn überzeugen können, daß es die Mühe wert war. Ihr Genörgel war immer schlimmer geworden, und in Momenten wie diesen bereute er bitter, daß er ihrem Drängen auf Heirat nachgegeben hatte.
Lisa hatte als Kellnerin im »Röde Orm« in Grebbestad gearbeitet, als er auf sie aufmerksam geworden war. Allen
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