Die Eisprinzessin schläft
war nicht sicher, daß der Promillegehalt in seinem Blut mit dem Gesetz übereinstimmte, aber im Augenblick kümmerte das Patrik wenig. Sicherheitshalber fuhr er ein bißchen langsamer als gewöhnlich, aber da er auf seinem Handy gleichzeitig eine Nummer nach der anderen wählte und unentwegt in den Hörer sprach, war es zweifelhaft, ob die Verkehrssicherheit dadurch sonderlich verbessert wurde.
Das erste Gespräch führte er mit TV4, wo man ihm bestätigte, daß die Serie »Verschiedene Welten« zugunsten des Eishockeyspiels am Freitag, dem Fünfundzwanzigsten, aus dem Programm genommen worden war. Dann rief er Mellberg an, der, nicht gerade überraschend, hocherfreut auf die Nachricht reagierte und verlangte, daß Anders sofort wieder festgesetzt würde. Durch das dritte Gespräch erhielt Patrik die erbetene Verstärkung, und er fuhr also direkt in Richtung des Wohnblocks, wo Anders zu Hause war. Jenny Rosen mußte einfach die Tage verwechselt haben. Ein nicht gerade seltener Fehler bei Zeugen.
Trotz der Aufregung angesichts einer eventuellen Wende bei dem Fall konnte er sich nicht völlig auf den Auftrag konzentrieren. Die Gedanken gingen unentwegt zurück zu Erica und der vergangenen Nacht. Er ertappte sich dabei, dämlich von einem Ohr zum anderen zu grinsen, und seine Hände trommelten wie von selbst kurze Rhythmen auf das Lenkrad. Er stellte im Radio den Sender mit den alten Ohrwürmern ein und bekam Aretha Franklins »Respect« zu hören. Der fröhliche Motownsound paßte perfekt zu seiner Stimmung, und er drehte die Lautstärke auf. Als der Refrain ertönte, sang er aus vollem Halse mit und tanzte, so gut er es in seiner sitzenden Stellung vermochte. Er fand, daß es ungeheuer gut klang, bis der Empfang plötzlich gestört war und er nur noch seine eigene Stimme »R.E.S.P.E.C.T.« grölen hörte. Das war alles andere als schmeichelnd für die Trommelfelle.
Die vergangene Nacht erschien ihm wie ein einziger sagenhafter Rausch, und das lag nicht nur an der Menge Wein, die sie am Abend getrunken hatten. Es war, als würde ein Schleier oder Nebel aus Gefühlen, Liebe und Erotik über diesen Stunden liegen.
Als er auf den Parkplatz vor dem Wohnblock einbog, mußte er sich gegen seinen Willen von den Gedanken an gestern lösen. Die Verstärkung war ungewöhnlich schnell erschienen. Vermutlich war sie in der Nähe gewesen. Er sah zwei Polizeiwagen mit Blaulicht und runzelte ein wenig die Stirn. Wirklich typisch, daß man seine Instruktionen so mißverstand. Er hatte gebeten, einen Wagen zu schicken, nicht zwei. Als er näher kam, sah er, daß hinter den Autos ein Krankenwagen stand. Irgend etwas stimmte hier nicht.
Er erkannte Lena wieder, die blonde Kriminalbeamtin aus Uddevalla, und ging zu ihr hin. Sie sprach in ihr Handy, aber als er bei ihr ankam, hörte er ein »Tschüs dann«, und sie steckte es wieder in die Halterung, die am Gürtel befestigt war.
»Hallo, Patrik.«
»Hallo, Lena. Was ist hier los?«
»Einer der Saufbrüder hat Anders Nilsson oben in der Wohnung erhängt aufgefunden.«
Sie wies mit dem Kopf in Richtung Eingang. Patrik verspürte ein eisiges Gefühl im Bauch.
»Ihr habt ja wohl nichts angefaßt?«
»Nein, was denkst du denn von uns? Ich habe gerade bei der Zentrale in Uddevalla angerufen, und die schicken ein Team her, um den Tatort zu untersuchen. Wir hatten mit Mellberg gesprochen, und deshalb nahm ich an, daß er sich bei dir gemeldet hat.«
»Nein, ich war schon auf dem Weg hierher, um Anders wieder zur Vernehmung zu holen.«
»Aber ich habe doch gehört, daß er ein Alibi hatte?«
»Ja, das glaubten wir, aber es war gerade geplatzt, und deshalb wollten wir ihn wieder festnehmen.«
»Was für ein verdammter Mist. Und was glaubst du, was das hier bedeutet? Ich meine, die Wahrscheinlichkeit, daß es in Fjällbacka plötzlich zwei Mörder geben soll, ist ja wohl gleich Null, also hat ihn wohl dieselbe Person umgebracht, die Alex Wijkner getötet hat. Habt ihr überhaupt irgendwelche anderen Verdächtigen außer Anders?«
Patrik wand sich. Es stimmte, daß diese Sache hier alles veränderte, doch noch war er nicht bereit, dieselben Schlußfolgerungen wie Lena zu ziehen, nämlich daß Anders von derselben Person umgebracht worden war wie Alex. Sicher war es fast eine statistische Unmöglichkeit, daß hier jahrzehntelang kein einziger Mord passierte und dann gleich zwei Mörder frei herumliefen, aber er war auch nicht bereit, so etwas völlig auszuschließen.
»Wir können
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