Die Eisprinzessin schläft
Klingeln meldete, verschwand die Müdigkeit der Nacht wie durch einen Zauberschlag.
»Hallo, Liebling.«
»Mmmm, es gefällt mir, wenn du das sagst.«
»Wie geht’s?«
»Danke, einigermaßen. Wir haben hier eine kleine Familienkrise. Ich erzähle mehr, wenn wir uns sehen. Es ist viel passiert, und Anna und ich haben die ganze Nacht da gesessen und geredet, und jetzt kümmere ich mich um die Kinder, damit sie noch ein paar Stunden schlafen kann.«
Er hörte, daß sie ein Gähnen unterdrückte. »Du klingst müde.«
»Ich bin müde. Und wie. Aber Anna braucht den Schlaf noch dringender als ich, also muß ich noch ein paar Stunden durchhalten. Die Kinder sind noch nicht alt genug, um allein klarzukommen.«
Adrian lallte zustimmend.
Patrik entschloß sich sofort. »Man kann das anders lösen.«
»Ach ja, und wie? Soll ich sie ein paar Stunden am Treppengeländer festbinden?« Sie lachte.
»Ich komme vorbei und passe auf sie auf.«
Erica kicherte mißtrauisch. »Du und auf die Kinder aufpassen?«
Er ließ seine Stimme äußerst beleidigt klingen. »Willst du damit sagen, ich sei nicht Manns genug, mich der Aufgabe anzunehmen? Wenn ich mit eigener Hand zwei Einbrecher niederringen kann, werde ich wohl mit zwei so extrem kurzen Menschen fertig werden. Oder hast du kein Vertrauen zu mir?«
Er legte eine Kunstpause ein und hörte Erica am anderen Ende der Leitung theatralisch seufzen. »Tja, du kriegst es vielleicht hin. Aber ich warne dich, es sind zwei richtige kleine Wildkatzen. Bist du wirklich sicher, daß du dieses Tempo aushältst, in deinem Alter, meine ich?«
»Ich werde es versuchen. Sicherheitshalber stecke ich lieber meine Herzmedikamente ein.«
»Nun ja, dann nehmen wir das Angebot wohl an. Wann kommst du?«
»Jetzt sofort. Ich war wegen einer anderen Sache schon unterwegs nach Fjällbacka und bin gerade an der Minigolf-Anlage vorbeigefahren. Also sehen wir uns in etwa fünf Minuten.«
Sie stand in der Tür und wartete auf ihn, als er aus dem Auto stieg. Auf dem Arm hielt sie einen pausbäckigen Jungen, der frenetisch winkte. Hinter ihr, kaum sichtbar, stand ein kleines Mädchen, den Daumen im Mund und den anderen Arm in Gips und in der Schlinge. Er wußte noch immer nicht, aus welchem Grund Ericas Schwester so plötzlich aufgetaucht war, aber nach dem, was Erica über ihren Schwager erzählt hatte, und angesichts des gegipsten Arms der Kleinen kam ihm ein schrecklicher Verdacht. Er fragte nicht, Erica würde bei Gelegenheit schon erzählen, was passiert war.
Er begrüßte sie alle drei hintereinander. Erica bekam einen Schmatz auf den Mund, Adrian ein Tätscheln auf die Wange, und dann hockte er sich hin, um die ernst blickende Emma zu begrüßen. Er nahm ihre gesunde Hand und sagte: »Guten Tag, ich heiße Patrik. Wie heißt denn du?«
Die Antwort kam nach langem Zögern. »Emma.«
Dann fuhr der Daumen wieder in den Mund.
»Sie taut schon noch auf.«
Erica übergab Adrian an Patrik und wandte sich an Emma:
»Mama und Tante Erica müssen ein bißchen schlafen, also wird Patrik ein Weilchen auf euch aufpassen. Geht das in Ordnung? Er ist ein Freund von mir, und er ist ganz, ganz lieb. Und wenn du ganz, ganz lieb bist, dann kann es sein, daß Patrik für dich ein Eis aus dem Tiefkühler holt.«
Emma sah Erica mißtrauisch an, aber die Möglichkeit, ein Eis zu bekommen, übte eine unwiderstehliche Verlockung aus, und sie nickte widerstrebend.
»Ja, was meinst du? Wollen wir eine Runde Schach spielen? Nicht? Und wie wär’s, wenn wir ein bißchen Eis zum Frühstück essen? Du findest, das klingt gut? Okay. Wer der letzte am Kühlschrank ist, kriegt bloß ‘ne Mohrrübe.«
Langsam kämpfte sich Anna zur Oberfläche ihres Bewußtseins hoch. Ihr war, als hätte sie wie Dornröschen hundert Jahre geschlafen. Als sie die Augen aufschlug, machte es ihr erst Mühe, sich zu orientieren. Dann erkannte sie die Tapeten ihres Mädchenzimmers wieder, und die Wirklichkeit stürzte wie eine Tonne Ziegel über sie herein. Sie setzte sich hastig auf. Die Kinder! Dann hörte sie Emmas fröhliches Geschrei aus dem Erdgeschoß und erinnerte sich, daß Erica versprochen hatte, sich um die Kinder zu kümmern. Sie legte sich wieder hin und beschloß, noch ein paar Minuten in der Bettwärme zu bleiben. Sobald sie aufgestanden war, würde sie den Tag in Angriff nehmen müssen, also verschaffte sie sich auf diese Weise noch eine Atempause.
Langsam drang ihr ins Bewußtsein, daß sie nicht Ericas Stimme von
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