Die Eisprinzessin schläft
um.
Geweckt aus tiefem, traumlosem Schlaf, konnte Erica das Geräusch zunächst nicht identifizieren. Als sie begriff, daß sie vom schrillen Klingeln des Telefons aufgewacht war, hatte es schon eine Weile geläutet, und sie sprang aus dem Bett, um zu antworten.
»Erica Falck.« Ihre Stimme war nur ein Krächzen, und sie räusperte sich, die Hand über dem Hörer, geräuschvoll, um die schlimmste Heiserkeit loszuwerden.
»Oh, habe ich dich geweckt? Ich bitte wirklich um Entschuldigung.«
»Nein, nein, ich war wach.« Die Antwort kam automatisch, und Erica hörte selbst, wie durchsichtig ihre Ausrede klang. Es war ziemlich offensichtlich, daß sie, milde ausgedrückt, noch ganz verschlafen war.
»Ja, egal wie, ich bitte jedenfalls um Entschuldigung. Hier ist Henrik Wijkner. Ich bin nämlich eben von Birgit angerufen worden, und sie hat mich gebeten, zu dir Verbindung aufzunehmen. Offenbar hat sich heute morgen ein äußerst unverschämter Kommissar vom Polizeirevier Tanumshede bei ihr gemeldet. Mit nicht gerade rücksichtsvollen Formulierungen hat er mehr oder weniger befohlen, daß sie sich auf dem Revier einzufinden habe. Anscheinend ist auch meine Anwesenheit erwünscht. Er wollte nicht sagen, worum es ging, aber wir haben unsere Befürchtungen. Birgit ist ungeheuer aufgeregt, und da im Augenblick weder Karl-Erik noch Julia in Fjällbacka sind, wollte ich fragen, ob du mir einen großen Gefallen tun und zu ihr gehen und nach ihr sehen könntest. Ihre Schwester und ihr Schwager sind arbeiten, also ist sie allein im Haus. Es dauert ein paar Stunden, bis ich in Fjällbacka sein kann, und ich möchte nicht, daß sie so lange ohne jemanden bleibt. Ich weiß, es ist viel verlangt, und wir kennen uns ja eigentlich nicht besonders gut, aber ich wüßte sonst niemanden, an den ich mich wenden könnte.«
»Selbstverständlich werde ich zu Birgit gehen. Das ist kein Problem. Ich muß mir nur was überziehen, dann kann ich in ungefähr einer Viertelstunde bei ihr sein.«
»Wunderbar. Ich bin dir ewig dankbar. Wirklich. Birgit war noch nie besonders widerstandsfähig, und es ist mir lieb, daß sie jemanden bei sich hat, bis ich selber nach Fjällbacka komme. Ich rufe an und sage ihr, daß du unterwegs bist. Kurz nach zwölf kann ich wohl dort sein, dann können wir alles Weitere bereden. Nochmals - vielen Dank.«
Die Augen immer noch voll Schlaf, eilte Erica ins Bad, um sich rasch das Gesicht zu waschen. Sie zog die Sachen an, die sie am gestrigen Tag getragen hatte, und nachdem sie sich mit dem Kamm durch die Haare gefahren und ein bißchen Wimperntusche aufgelegt hatte, saß sie nach weniger als zehn Minuten hinterm Steuer. Es dauerte noch weitere fünf, um von Sälvik zur Tallgatan zu fahren, und so klingelte sie fast auf die Sekunde genau eine Viertelstunde nach Henriks Anruf dort an der Tür.
Birgit wirkte, als hätte sie in den Tagen, seit Erica sie das letzte Mal gesehen hatte, mehrere Kilo abgenommen. Die Kleider hingen lose um ihren Körper. Diesmal setzten sie sich nicht ins Wohnzimmer, sondern Birgit ging ihr in die Küche voran.
»Danke, daß du herkommen konntest. Ich bin einfach so unruhig und habe gefühlt, daß ich es nicht aushalte, hier allein dazusitzen und zu grübeln, bis Henrik endlich da ist.«
»Er hat mir erzählt, daß man dich von der Polizei in Tanumshede angerufen hat?«
»Ja, heute morgen um acht rief ein Kommissar Mellberg an und sagte, Karl-Erik, Henrik und ich hätten uns umgehend in seinem Büro einzufinden. Ich habe ihm erklärt, daß Karl-Erik aus geschäftlichen Gründen überraschend wegfahren mußte, aber daß er morgen zurückkommt, und ich fragte ihn, ob wir es nicht auf einen Tag später verschieben könnten. Das kann er nicht akzeptieren, so hat er gesagt, und da muß es eben genügen, daß erst einmal Henrik und ich dort erscheinen. Der Kerl war sehr unverschämt, und ich habe natürlich sofort Henrik angerufen, der versprochen hat, so schnell wie möglich hier zu sein.
Ich befürchte, daß ich ein bißchen sehr aufgeregt gewirkt habe, und deshalb hat Henrik vorgeschlagen, dich anzurufen und zu hören, ob du für ein paar Stunden herkommen könntest. Ich hoffe wirklich, du hast es nicht als allzu aufdringlich empfunden. Du willst ja wohl kaum noch mehr in unsere Familientragödie hineingezogen werden, aber ich wußte nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte. Außerdem bist du ja früher fast so was wie eine Tochter im Hause gewesen, also habe ich gedacht, daß du
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