Die Eisprinzessin schläft
ob sie es aus eigenen Beweggründen tat oder ob Lucas Anna einfach nicht erlaubte, ihre Schwester zu sehen, während er im Büro war und keine Möglichkeit hatte, sie zu überwachen.
Alle waren bereits versammelt, als Erica den Raum betrat. Sie musterten sie mit ernsten Mienen, als sie mit aufgesetztem Lächeln ihre Hand ausstreckte, um die beiden Anwälte von Lucas zu begrüßen. Lucas selbst nickte nur zur Begrüßung, während Anna hinter seinem Rücken ein kleines Winken wagte. Man setzte sich, und die Verhandlung begann.
Das Ganze dauerte nicht lange. Die Anwälte stellten trocken und sachlich fest, was Erica bereits wußte. Daß Anna und Lucas in vollem Recht waren, wenn sie den Verkauf des Hauses verlangten. Konnte Erica sie mit der Hälfte des Marktwertes auslösen, dann hatte sie dazu die Möglichkeit. Wenn sie es nicht konnte oder wollte, dann würde das Haus zum Verkauf angeboten, sobald ein unabhängiger Gutachter den Wert festgestellt hätte.
Erica schaute Anna fest in die Augen. »Willst du das wirklich? Bedeutet dir das Haus denn gar nichts? Überleg mal, was unsere Eltern empfunden hätten, wenn sie gewußt hätten, daß wir es sofort verkaufen, nachdem sie verschwunden sind. Ist es wirklich das, was du willst, Anna?«
Sie betonte das »du« und sah aus dem Augenwinkel, daß Lucas verärgert die Brauen zusammenzog.
Anna schaute nach unten und wischte ein paar unsichtbare Staubkörner von ihrem eleganten Kostüm. Ihre hellen Haare waren straff nach hinten gekämmt und zu einem Pferdeschwanz gebunden.
»Was sollen wir mit dem Haus? Man hat nur eine Menge Ärger mit alten Häusern, und denk an all das Geld, was man dafür bekommen kann. Ich glaube bestimmt, daß unsere Eltern es zu schätzen gewußt hätten, daß einer von uns die Sache praktisch angeht. Ich meine, wann wollen wir das Haus denn nutzen? Lucas und ich kaufen dann schon lieber ein Sommerhaus in den Stockholmer Schären, um es mehr in der Nähe zu haben, und was willst du denn ganz allein mit dem Haus?«
Lucas lächelte Erica höhnisch zu, während er Anna mit vorgeblicher Fürsorglichkeit über den Rücken strich. Sie hatte noch immer nicht gewagt, Erica in die Augen zu sehen.
Erica fiel erneut auf, wie müde ihre kleine Schwester wirkte. Sie war dünner als sonst, und das schwarze Kostüm, das sie anhatte, hing ihr lose um Brust und Taille. Um die Augen lagen dunkle Ringe, und Erica meinte unter dem Puder auf dem rechten Jochbein einen blauen Schatten zu bemerken. Wut packte sie angesichts ihrer Machtlosigkeit in der gegebenen Situation, und sie nahm Lucas scharf ins Visier. Er erwiderte ruhig ihren Blick. Direkt aus dem Büro gekommen, trug er seine Arbeitsuniform, einen graphitgrauen Anzug, dazu ein blendend weißes Hemd und eine glänzende dunkelgraue Krawatte. Er wirkte elegant und weltmännisch. Erica glaubte, daß eine Menge Frauen ihn bestimmt attraktiv fanden. Ihr fiel allerdings ein Zug von Brutalität auf, der wie ein Filter über seinem ganzen Gesicht lag. Dieses war scharf geschnitten, hatte deutlich hervortretende Wangenknochen und eine kantige Kinnlade, was noch dadurch unterstrichen wurde, daß er die Haare glatt aus der hohen Stirn kämmte. Er sah nicht aus wie der Urtypus des rötlichblonden Engländers, sondern eher wie ein echter Wikinger mit hellblonden Haaren und eisblauen Augen. Die Oberlippe war gewölbt und üppig wie die einer Frau, was ihm einen trägen, dekadenten Ausdruck verlieh. Erica registrierte, daß sein Blick sich in ihrem Ausschnitt verlor, und sie zog instinktiv das Jackett zusammen. Er bemerkte ihre Bewegung, und das ärgerte sie. Sie wollte nicht zeigen, daß er irgendeinen Einfluß auf sie hatte.
Als die Zusammenkunft endlich beendet war, stand Erica einfach auf und verließ den Raum, ohne sich um irgendwelche Abschiedsfloskeln zu kümmern. Was sie anbelangte, war alles, was gesagt werden konnte, gesagt. Jemand, der das Haus taxieren sollte, würde sich mit ihr in Verbindung setzen, und dann wollte man es so schnell wie möglich zum Verkauf ausschreiben. Keine eindringlichen Worte hatten geholfen. Sie hatte verloren.
Ihre Wohnung in der Vasastan war zur Zeit an ein nettes Doktorandenpaar vermietet, also konnte sie jetzt nicht dorthin fahren. Da sie keine Lust hatte, die fünfstündige Autofahrt nach Fjällbacka in den nächsten Minuten anzutreten, stellte sie das Auto ins Parkhaus am Stureplan und setzte sich in den Humlegärdsparken. Sie mußte ihre Gedanken ein Weilchen sammeln. Die Ruhe
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