Die Eisprinzessin schläft
ab. Keine Tränen. Sie war die einzige, die keine Blume auf den Sarg legte, und als die Zeremonie beendet war, drehte sie der Grube in der Erde rasch den Rücken zu und ging zurück in Richtung Kirche.
Erica fragte sich, was die Schwestern wohl für ein Verhältnis zueinander gehabt hatten. Es konnte nicht leicht gewesen sein, immer mit Alex verglichen zu werden, jedesmal den kürzeren zu ziehen. Julias Rücken wirkte abweisend, als sie mit raschen Schritten den Abstand zwischen sich und dem restlichen Grüppchen vergrößerte. Sie hatte die Schultern brüsk nach oben gezogen.
Henrik schloß neben Erica auf. »Wir wollen zur Erinnerung an Alex jetzt ein wenig zusammensitzen und würden uns freuen, wenn du mitkommst.«
»Also, ich weiß nicht recht«, sagte Erica.
»Ein Stündchen kannst du wohl dabeisein.«
Sie zögerte. »Ja, okay. Wo ist es? Bei Ulla?«
»Nein, wir haben hin und her überlegt und am Ende beschlossen, es in Birgits und Karl-Eriks Haus zu tun. Trotz allem, was dort passiert ist, weiß ich schließlich, daß Alex dieses Haus geliebt hat. Wir haben darin viele schöne Dinge erlebt, also kann man sich kaum einen besseren Ort vorstellen, um sich ihrer zu erinnern. Allerdings kann ich verstehen, wenn es für dich ein bißchen unangenehm ist. Ich meine, von deinem letzten Besuch dort hast du ja nicht gerade die besten Erinnerungen.«
Erica errötete voller Scham, als sie daran dachte, wann sie dem Haus tatsächlich ihren letzten Besuch abgestattet hatte, und sie senkte rasch den Blick.
»Das geht schon in Ordnung.«
Sie fuhr mit ihrem eigenen Auto und stellte es wieder auf den Parkplatz hinter der Häkebackenschule. Das Haus war schon voller Leute, als sie durch die Tür trat, und sie überlegte, ob sie nicht doch kehrtmachen und heimfahren sollte. Der Moment ging rasch vorüber. Als Henrik auf sie zukam und ihr die Jacke abnahm, war es zu spät, um sich die Sache anders zu überlegen.
Gedränge herrschte um den Eßtisch, auf dem ein Büfett mit Schichttorten hergerichtet war. Erica entschloß sich, ein großes Stück, belegt mit Krabben, zu nehmen, und verzog sich dann schnell in eine Ecke des Zimmers, wo sie in aller Ruhe essen und zugleich die übrige Gesellschaft studieren konnte.
Die Veranstaltung wirkte ungewöhnlich ausgelassen, wenn man bedachte, aus welchem Anlaß sie stattfand. Man sprach mit einem fieberhaft munteren Unterton, und als sie die Menschen um sich herum betrachtete, sah sie, daß sich alle angestrengt hinter der Konversation versteckten. Der Gedanke an die Ursache des Todes von Alex lag spürbar nahe.
Erica ließ den Blick von einem Gesicht zum anderen schweifen. Birgit saß auf der äußersten Kante in der einen Sofaecke und wischte sich mit dem Taschentuch die Augen. Karl-Erik stand hinter ihr, eine Hand unbeholfen auf ihre Schulter gelegt, in der anderen hielt er einen Teller mit Schichttorte. Henrik arbeitete sich versiert durchs Zimmer. Er ging von der einen Gruppe zur anderen, schüttelte Hände, nickte zur Antwort auf Kondolenzen, teilte mit, daß jetzt Kaffee und Kuchen serviert seien. Zoll für Zoll der perfekte Gastgeber. Als befände er sich auf irgendeiner Cocktailparty statt auf dem Begräbnisempfang seiner Gattin. Lediglich ein tiefes Einatmen und ein kurzes Zögern, wie um Kraft zu schöpfen, bevor er zur nächsten Gruppe weiterging, ließen spüren, welche Anstrengung ihn das kostete.
Die einzige, die sich nicht dem Rahmen entsprechend verhielt, war Julia. Sie hatte sich aufs Fensterbrett der Veranda gesetzt, das eine Knie zur Scheibe hochgezogen, und ihr Blick war starr aufs Meer gerichtet. Wer sich ihr mit etwas Freundlichkeit und ein paar teilnehmenden Worten nähern wollte, mußte unverrichteter Dinge umkehren. Sie ignorierte alle Versuche der Annäherung und starrte nur weiter auf all das Weiße hinaus.
Erica fühlte eine leichte Berührung am Arm und zuckte unwillkürlich zusammen, so daß ein wenig von dem Kaffee auf die Untertasse schwappte.
»Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.« Francine lächelte.
»Nein, kein Problem. Ich war nur in Gedanken.«
»Über Julia?« Francine wies mit dem Kopf auf die Gestalt vor dem Fenster. »Ich habe gesehen, daß du sie betrachtet hast.«
»Ja, ich muß zugeben, daß sie mich interessiert. Sie ist so vollkommen abgekapselt von der übrigen Familie. Ich kann nicht dahinterkommen, ob sie wegen Alex trauert oder ob sie aus irgendeinem Grund, den ich nicht begreife, stinksauer ist.«
»Julia
Weitere Kostenlose Bücher