Die Eisprinzessin schläft
Artikel zur Hand.
Sechs Stunden später massierte er sich den steifen Nacken und fühlte, daß seine Augen juckten und brannten. Er hatte die Artikel in chronologischer Reihenfolge gelesen und mit den ältesten Ausschnitten begonnen. Es war eine faszinierende Lektüre. Im Laufe der Jahre war viel über Fabian Lorentz und seine Erfolge geschrieben worden. Zum überwältigenden Teil waren es positive Beiträge, und lange sah dessen Leben so aus, als hätte er in allem eine glückliche Hand. Die Firma entwickelte sich erstaunlich rasch, da Fabian Lorentz ein sehr begabter, um nicht zu sagen genialer Geschäftsmann war. Die Heirat mit Nelly war Gegenstand der Klatschspalten, ergänzt durch Bilder, die das schöne Paar in Hochzeitskleidern zeigten. Danach tauchten Bilder von Nelly und ihrem Sohn Nils in den Zeitungen auf. Nelly mußte sich unermüdlich bei den verschiedensten Wohltätigkeitsveranstaltungen und Gesellschaftsereignissen engagiert haben, und immer schien Nils an ihrer Seite zu sein. Oft mit einem ängstlichen Ausdruck im Gesicht, die Hand sicher in der seiner Mutter verankert.
Auch als er ins Teenageralter gekommen war und etwas zurückhaltender hätte sein müssen, sich in der Öffentlichkeit mit der Mutter zu zeigen, befand er sich unweigerlich an ihrer Seite. Sie hatte sich bei ihm untergehakt, und sein Gesicht zeigte einen Stolz, der für Patrik von Besitzrecht zu sprechen schien. Fabian war jetzt immer seltener zu sehen und wurde nur erwähnt, wenn von größeren Geschäften die Rede war.
Ein Artikel hob sich von den anderen ein wenig ab und erregte Patriks Aufmerksamkeit. Die Illustrierte »Allers« hatte Nelly eine ganze Doppelseite gewidmet, als sie Mitte der siebziger Jahre ein Pflegekind annahm, einen Jungen, der einen »tragischen Familienhintergrund« hatte, wie es der Reporter ausdrückte. Ein Bild zeigte Nelly, geschminkt und bis an die Zähne herausgeputzt, in ihrem eleganten Wohnzimmer, den Arm um einen etwa zwölfjährigen Jungen gelegt. Er machte ein trotziges, mürrisches Gesicht. Als der Fotograf auf den Auslöser drückte, schien es, als wollte er ihren knochigen Arm gerade abschütteln. Nils, der jetzt ein junger Mann Mitte Zwanzig war, stand hinter seiner Mutter, und auch er zeigte kein Lächeln. Kühl und ernst, bekleidet mit einem dunklen Anzug, die Haare nach hinten gekämmt, schien er mit der eleganten Atmosphäre vollkommen zu verschmelzen, während der Jüngere wie ein fremder Vogel wirkte.
Der Artikel rühmte Nellys Aufopferung und die große gesellschaftliche Leistung, die sie vollbracht hatte, indem sie sich dieses Kindes annahm. Es wurde angedeutet, daß der Junge eine große Tragödie erlebt hatte, ein Trauma, das zu überwinden sie ihm, wie Nelly zitiert wurde, helfen wollten. Sie war voller Vertrauen, daß die gesunde und liebevolle Umgebung, die sie ihm boten, einen intakten produktiven Menschen aus ihm machen würde. Patrik tat der Junge leid. Was für eine Naivität.
Gut ein Jahr später wurden die glamourösen Bankettbilder und die Neid erweckenden Reportagen aus der schönen Unternehmersvilla von schwarzen Schlagzeilen abgelöst. »Erbe des Lorentz-Vermögens verschwunden.« Wochenlang trompeteten die Lokalzeitungen die Neuigkeit heraus, und die Sache schien obendrein von solchem Gewicht, daß selbst die »Göteborgsposten« sie veröffentlichte. Den reißerischen Zeilen folgte eine Zusammenstellung mehr oder weniger fundierter Spekulationen über das, was dem jungen Lorentz zugestoßen sein könnte. Alle möglichen und unmöglichen Alternativen wurden aufgezählt, einmal hieß es, daß er das gesamte Vermögen seines Vaters veruntreut habe und sich nun an unbekanntem Ort aufhalte, wo er ein Leben in Luxus führe, dann wieder, daß er sich das Leben genommen habe, weil er entdeckt hätte, nicht der legitime Sohn von Fabian Lorentz zu sein, und dieser ihm klargemacht habe, daß er sein beachtliches Vermögen keinem Bastard zukommen ließe. Das meiste davon wurde nicht klar ausgesprochen, sondern nur mehr oder weniger verdeckt angedeutet. Aber wer nur ein bißchen Verstand hatte, konnte leicht zwischen den Zeilen lesen, was die Reporter zu sagen wünschten.
Patrik kratzte sich am Kopf. Er konnte beim besten Willen nicht verstehen, was ein fünfundzwanzig Jahre altes Verschwinden mit dem gegenwärtigen Mord an einer Frau zu tun haben sollte, aber er spürte sehr stark, daß es da einen Zusammenhang gab.
Er rieb sich die müden Augen und blätterte weiter in dem
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