Die Eisprinzessin schläft
Auskunft erteilen. Sie müssen sich ans Polizeirevier in Tanumshede wenden. Wir bringen ihn dort in die Zelle.«
Mit jedem Wort sank ihr das Herz. Sie begriff, daß es diesmal nicht um irgendwelche Streitigkeiten im Suff ging. Die Streifenwagen fuhren einer nach dem anderen los. Im letzten sah sie Anders zwischen zwei Polizisten sitzen. Er drehte sich um und blickte sie an, bis die Wagen außer Sicht waren.
Patrik sah das Auto mit Anders Nilsson in Richtung Tanumshede davonfahren. Das massive Polizeiaufgebot war seiner Meinung nach ziemlich übertrieben, aber Mellberg wollte Aufsehen, und so gab es Aufsehen. Man hatte Extraeinsatzkräfte aus Uddevalla angefordert, die bei der Festnahme assistieren sollten. Nach Patriks Ansicht hieß das nur, daß bei sechs Anwesenden die Zeit von mindestens vier vergeudet wurde.
Eine Frau blieb auf dem Parkplatz zurück und schaute den Streifenwagen lange hinterher.
»Die Mutter des Täters«, sagte Polizeiassistentin Lena Waltin aus Uddevalla, die auch hiergeblieben war, um gemeinsam mit Patrik eine Haussuchung in Anders Nilssons Wohnung vorzunehmen.
»Dir ist doch klar, Lena, daß er nicht der >Täter< ist, bevor alles überprüft wurde und die Verurteilung klar ist. Bis zu dem Zeitpunkt ist er genauso unschuldig wie wir anderen.«
»Wer’s glaubt. Ich verwette mein Jahresgehalt darauf, daß er der Schuldige ist.«
»Wenn du so sicher bist, könntest du wirklich etwas mehr als dieses bißchen setzen.«
»Haha, wirklich lustig. Über das Gehalt eines Polizisten zu scherzen ist wirklich die reinste Verarschung.«
Patrik konnte nicht anders, als ihr zuzustimmen.
»Ja, hier passiert wohl nicht mehr viel. Also gehen wir hoch?«
Er sah, daß Anders’ Mutter noch immer auf demselben Fleck stand und den Autos hinterhersah, obwohl sie längst verschwunden waren. Sie tat ihm wirklich leid, und einen Augenblick lang überlegte er, ob er hingehen und ihr ein paar tröstende Worte sagen sollte. Aber Lena zog ihn am Ärmel und wies mit dem Kopf auffordernd in Richtung Tür. Er seufzte, zuckte mit den Schultern und folgte ihr ins Haus, um den Durchsuchungsbeschluß in die Tat umzusetzen.
Sie kontrollierten die Tür von Anders Nilssons Wohnung, die nicht abgeschlossen war, so daß sie problemlos den Flur betreten konnten. Patrik schaute sich um und seufzte zum zweitenmal innerhalb kürzester Zeit. Die Wohnung war in einem traurigen Zustand, und er fragte sich, wie sie in diesem Durcheinander etwas von Wert finden sollten. Sie stiegen über leere Flaschen im Korridor und versuchten sich einen Überblick über Wohnzimmer und Küche zu verschaffen.
»Igitt.« Lena schüttelte sich angewidert.
Sie zogen dünne Plastikhandschuhe aus den Taschen und streiften sie über. Als hätten sie sich heimlich abgesprochen, begann Patrik mit dem Wohnzimmer, während Lena die Küche übernahm.
Sich in Anders Nilssons Wohnzimmer aufzuhalten erzeugte ein schizophrenes Gefühl. Der dreckige, unaufgeräumte Raum, in dem sich fast kein Möbelstück oder irgendwelche persönlichen Dinge befanden, wirkte wie eine klassische Fixerbude. Von denen hatte Patrik in seinem Berufsleben so einige gesehen. Doch war er nie zuvor in einer Fixerbude gewesen, in der die Wände mit Kunst vollgehängt waren. Die Bilder hingen so dicht, daß vom Fußboden bis zur Decke kaum Platz war. Die Explosion der Farben verursachte ein Stechen in Patriks Augen, und er mußte sich beherrschen, um sie nicht mit der Hand abzuschirmen. Es waren abstrakte Bilder, gemalt in ausschließlich warmen Farben, und sie trafen Patrik wie ein Tritt in den Leib. Das Gefühl war so körperlich, daß es ihm Mühe machte, sich weiter aufrecht zu halten, und er zwang sich, den Blick von den Gemälden zu lösen, die von den Wänden auf ihn loszuspringen schienen.
Vorsichtig begann er Anders’ Sachen durchzusehen. Es war nicht viel, was in Betracht kam. Einen Augenblick lang verspürte Patrik große Dankbarkeit für das privilegierte Leben, das er im Vergleich zu diesem hier führen durfte. Seine eigenen Probleme wirkten mit einemmal äußerst winzig. Es faszinierte ihn, daß der Überlebenswille des Menschen so stark war, daß man sich selbst dann, wenn anscheinend überhaupt keine Lebensqualität vorhanden war, dazu entschloß, Tag für Tag und Jahr für Jahr weiterzumachen. Gab es in einem Leben wie dem von Anders Nilsson noch irgendwelchen Anlaß zur Freude? Verspürte er jemals Gefühle, die das Leben lebenswert machten - Erwartung, Glück
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