Die Eisprinzessin schläft
mit ein bißchen Proviant vorbeigekommen, um ein Weilchen zu plaudern.«
Dan redete überstürzt, und Erica blickte verwundert von einem zum anderen. Sie erkannte Pernilla, die sie giftig ansah, fast nicht wieder. Einen Augenblick lang fragte sich Erica, ob Pernilla ihr wohl eine verpassen wolle. Sie verstand überhaupt nichts mehr. Es war wirklich Jahre her, daß sie alles, was Erica und Dan betraf, geklärt hatten. Pernilla wußte, daß es zwischen ihnen keine Gefühle mehr gab, oder zumindest glaubte Erica, daß sie es wußte. Jetzt war sie sich dessen nicht mehr sicher. Die Frage war nur, was diese Reaktion ausgelöst hatte. Sie ließ ihren Blick zwischen Dan und Pernilla hin und her wandern. Ein stummer Machtkampf fand statt, und Dan schien im Begriff, ihn zu verlieren. Erica blieb nichts mehr zu sagen, und sie kam zu dem Schluß, daß es das beste wäre, einfach zu verschwinden und die beiden die Sache selbst regeln zu lassen.
Rasch sammelte sie Tassen und Kanne ein und stellte sie zurück in den Korb. Als sie den Kai hinunterging, hörte sie Dans und Pernillas aufgeregte Stimmen die Stille übertönen.
4
Er war unsagbar einsam. Ohne sie war die Welt leer und kalt, und er konnte nichts tun, um diese Kälte zu lindern. Der Schmerz hatte sich leichter ertragen lassen, als er ihn mit ihr teilen konnte. Seit sie verschwunden war, hatte er das Gefühl, er müsse beider Schmerz gleichzeitig tragen, und das war mehr, als er glaubte verkraften zu können. Er kämpfte sich durch die Tage, Minute um Minute, Sekunde um Sekunde. Die äußere Wirklichkeit existierte nicht, ihm war nur noch im Bewußtsein, daß sie für immer verschwunden war.
Die Schuld ließ sich in gleich große Stücke aufteilen und den Schuldigen zumessen. Er gedachte sie nicht allein zu tragen. Nein, er würde sie keineswegs allein tragen.
Er betrachtete seine Hände. Wie er diese Hände haßte. Sie enthielten Schönheit und Tod in einer Unvereinbarkeit, mit der er hatte lernen müssen zu leben. Nur wenn er SIE gestreichelt hatte, war allein Gutes in ihnen gewesen. Seine Haut an ihrer Haut hatte all das Böse fortgescheucht, hatte es für ein Weilchen vertrieben. Zugleich hatte einer des anderen verborgene Bosheit genährt. Liebe und Tod, Haß und Leben. Gegensätze, die aus ihnen Motten machten, die immer näher und näher um die Flamme kreisten. Sie war zuerst verbrannt.
Er fühlte die Hitze des Feuers im Nacken. Es war jetzt ganz nahe.
Sie hatte es satt. Hatte es satt, den Dreck anderer wegzuputzen. Hatte ihr freudloses Leben satt. Ein Tag verlief wie der andere. Sie hatte es satt, die Schuld zu tragen, die tagaus, tagein auf ihr lastete. Hatte es satt, sich morgens, wenn sie aufwachte, und abends, wenn sie sich schlafen legte, zu fragen, wie es Anders wohl ging.
Vera stellte den Kaffee zum Aufkochen auf den Herd. Nur das Ticken der Küchenuhr war zu hören, und sie setzte sich an den Tisch, wartete darauf, daß der Kaffee fertig wurde.
Heute hatte sie bei Familie Lorentz geputzt. Das Haus war so groß, daß sie den ganzen Tag dafür brauchte. Manchmal vermißte sie die alten Zeiten. Vermißte die Sicherheit, immer am selben Ort zu arbeiten. Vermißte den Status, den sie als Haushälterin der vornehmsten Familie im nördlichen Bohuslän gehabt hatte. Doch so war es nur manchmal. Meist war sie einfach froh, nicht jeden Tag dorthin zu müssen. Daß sie nicht länger vor Nelly Lorentz zu katzbuckeln hatte. Der Frau, die sie über alle Maßen haßte. Dennoch hatte sie weiter für sie gearbeitet, jahraus, jahrein, bis die Zeit sie schließlich eingeholt hatte und der Beruf der Haushälterin aus der Mode kam. Mehr als dreißig Jahre hatte sie den Blick zu Boden gesenkt und gemurmelt: »Ja, vielen Dank, Frau Lorentz, natürlich, Frau Lorentz, wird sofort erledigt, Frau Lorentz«, während sie zugleich die unbändige Lust bezwingen mußte, ihre starken Hände um den zerbrechlichen Hals dieser Nelly Lorentz zu legen und zuzudrücken, bis das Weib nicht mehr atmete. Manchmal war diese Lust so übermächtig, daß sie ihre Hände unter der Schürze verstecken mußte, damit ihre Arbeitgeberin nicht sah, wie sie zitterten.
Der Kaffeekessel pfiff, um mitzuteilen, daß das Getränk fertig war. Vera erhob sich mühsam und streckte den Rücken, bevor sie eine angeschlagene Tasse aus dem Schrank nahm und sich etwas eingoß. Die Tasse war der letzte Rest von dem Hochzeitsservice, das sie bei der Heirat von Arvids Eltern geschenkt bekommen hatten.
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