Die Eisprinzessin schläft
Zeit, daß sie sich ein bißchen zusammenriß und die Hormone in den Griff bekam. Das hier war ja wirklich lächerlich.
»Ja, ich bin in Fjällbacka und wollte nur hören, ob du zu Hause bist und ob ich in dem Fall kurz vorbeischauen könnte?«
Er klang selbstsicher, männlich, ruhig und stark, und Erica fühlte sich noch idiotischer, weil sie wie ein Teenager gestottert hatte. Sie blickte auf ihre Kleidung hinunter, die im Moment aus einem schmuddeligen Jogginganzug bestand, und faßte sich mit der Hand an die Haare. Ja, es war genau, wie sie befürchtet hatte. Ein Stiez mitten auf dem Kopf, von dem die Haare in alle Richtungen abstanden. Die Situation konnte man nur als katastrophal bezeichnen.
»Hallo Erica - bist du noch dran?« Patrik wirkte leicht verwundert.
»Äh, ja, ich bin hier. Mir war nur so, als hätte dein Handy keinen Empfang.«
Sie griff sich erneut an die Stirn. Mein Gott, man konnte wirklich glauben, sie sei noch eine Anfängerin.
»Hallo Erica, bin ich zu hören? Hallo?«
»Ähh, ja klar. Komm ruhig vorbei! Gib mir nur eine Viertelstunde, bevor du auftauchst, denn ich schreibe gerade . ähh . einen unheimlich wichtigen Abschnitt in meinem Buch, den ich gern erst beenden möchte.«
»Ja, natürlich. Aber störe ich ganz bestimmt nicht? Ich meine, wir sehen uns ja morgen abend sowieso .«
»Nein, wirklich nicht. Ganz bestimmt. Laß mir nur eine Viertelstunde Zeit.«
»Okay. Dann komme ich in einer Viertelstunde.«
Erica legte langsam den Hörer weg und atmete tief durch. Vor Erwartung hämmerte ihr Herz so heftig, daß sie es selbst hören konnte. Patrik war auf dem Weg zu ihr. Patrik war . Sie fuhr zusammen, als hätte ihr jemand einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf geschüttet, und sprang vom Stuhl auf. Er würde in fünfzehn Minuten hier sein, und sie sah aus, als hätte sie sich eine Woche lang weder gewaschen noch gekämmt. Sie rannte die Treppe ins Obergeschoß hoch, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, und zog sich zugleich das Joggingoberteil über den Kopf. Im Schlafzimmer stieg sie aus der Schlabberhose und wäre fast lang hingeschlagen, weil sie vergessen hatte stillzustehen.
Im Bad wusch sie sich unter den Armen und schickte ein stilles Dankgebet zum Himmel, weil sie sich heute morgen beim Duschen die Achselhöhlen rasiert hatte. Kleine Mengen Parfüm landeten auf den Handgelenken, zwischen den Brüsten und am Hals, wo sie den Puls unter den Fingern heftig schlagen fühlte. Der Schrank wurde unsanft aufgerissen, und erst als sie den größten Teil seines Inhalts aufs Bett befördert hatte, konnte sie sich für einen einfachen schwarzen Filippa-K-Pullover und einen dazu passenden engen schwarzen Rock entscheiden, der bis zu den Knöcheln reichte. Sie schaute auf die Uhr. Noch zehn Minuten. Wieder ins Bad. Puder, Wimperntusche, Lippglos und einen hellen Lidschatten. Rouge war nicht nötig, ihr Gesicht war schon rot genug. Das Make-up sollte sie frisch und ungeschminkt wirken lassen, aber mit jedem weiteren Jahr schien sie mehr Schminke zu brauchen, um so ein Ergebnis zu erzielen.
Es klingelte an der Tür im Erdgeschoß, und als sie im Spiegel einen letzten Blick auf sich warf, bemerkte sie voller Panik, daß die Haare auf dem Kopf noch immer ein unordentliches Büschel bildeten, das ein leuchtend gelber Gummi zusammenhielt. Sie riß ihn heraus, und mit Hilfe einer Bürste und ein wenig Schaumfestiger gelang es ihr, die Frisur einigermaßen in Form zu bringen. Es klingelte erneut, jetzt beharrlicher, und sie eilte die Treppe hinunter, blieb aber mitten auf den Stufen stehen, um Luft zu holen und sich einen Moment zu sammeln. Mit der coolsten Miene, die ihr gelang, öffnete sie die Tür und feuerte ein Lächeln ab.
Sein Finger zitterte leicht, als er auf die Klingel drückte. Er war mehrmals drauf und dran gewesen, wieder kehrtzumachen und sich übers Telefon mit einem vorgeschobenen Grund zu entschuldigen, aber das Auto fuhr praktisch von ganz allein in Richtung Sälvik. Er wußte noch ganz genau, wo sie wohnte, und nahm mit Leichtigkeit die enge Rechtskurve auf der Steigung vor dem Campingplatz, die ihn zu ihrem Haus führte. Es war kohlrabenschwarz draußen, aber die Straßenlaternen verbreiteten genug Licht, um ihn die Aussicht auf das Meer ahnen zu lassen. Er begriff mit einem Schlag, welche Gefühle Erica für ihr Elternhaus hegen mußte, und konnte sich ihren Schmerz vorstellen, es eventuell zu verlieren. Mit einemmal verstand er auch, wie hoffnungslos seine
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