Die Eissphinx
Wahrscheinlichkeit, daß die Inselgruppe, zu der Tsalal gehörte, bei dem Erdbeben vollständig untergegangen ist…
– Vor Steuerbord Land in Sicht!« rief plötzlich Dirk Peters.
Alle Augen richteten sich nach dieser Seite, ohne auf der Fläche des Meeres etwas wahrzunehmen. Der Mestize auf dem Top des Fockmastes konnte freilich etwas schon erkennen, was für uns auf dem Verdeck noch unsichtbar war. Bei seinem scharfen Gesicht und seiner Gewohnheit an Beobachtungen auf dem Meere nahm ich nicht an, daß er sich getäuscht haben könne.
In der That konnten wir eine Viertelstunde später durch unsere Seefernrohre einige verstreute Eilande unterscheiden, die zwei bis drei Seemeilen weit im Westen von den schrägen Strahlen der Sonne getroffen wurden.
Der Lieutenant ließ die obern Segel einziehen, und die Goëlette trieb nur unter dem Groß- und einem Marssegel neben dem Klüversegel hin.
Man kannte wohl fragen, ob es jetzt schon angezeigt erschien, sich in Vertheidigungszustand zu setzen, die Deckgeschütze zu laden und die Enternetze vorzubereiten; der Kapitän Len Guy meinte aber, ohne besondere Gefahr dicht an den nächstgelegenen Eilanden hinsegeln zu können.
Doch wie viel mochte sich hier verändert haben! Da, wo nach Arthur Pym geräumige Inseln liegen sollten, fanden wir nur wenige – höchstens ein halbes Dutzend – winzige Eilande, die das Wasser kaum um zehn Toisen überragten.
»Nun, Dirk Peters, fragte der Kapitän, hast Du die Gruppe erkennen können?
– Die Gruppe? antwortete der Mestize kopfschüttelnd. Nein, ich habe nur fünf bis sechs Spitzen von Eilanden gesehen… nur einige Kieselsteine… doch keine einzige Insel!«
In der That waren von dem Archipel, wenigstens von seinem westlichen Theile, nur einige Spitzen oder vielmehr kleine abgerundete Gipfel übrig. Immerhin blieb nicht ausgeschlossen, daß die Erderschütterung, wenn sich die Gruppe über mehrere Grade hin ausdehnte, nur die nächsten, von uns im Westen gelegenen Inseln zerstört hatte.
Davon wollten wir uns überzeugen, wenn wir jedes Eiland besucht und bestimmt hätten, zu welcher früheren oder späteren Zeit die seismische Erschütterung stattgefunden habe, wovon die Insel Tsalal unverkennbare Spuren zeigte.
Bei weiterer Annäherung der Goëlette konnten wir deutlich die Brocken von der Gruppe erkennen, die in ihrem östlichen Theile fast ganz vernichtet war. Die Oberfläche der größten Eilande betrug nicht mehr als fünfzig bis sechzig Quadrattoisen, und die der kleinsten kaum drei bis vier. Die letzteren bildeten mehr eine Art Klippen, an denen das Meer leicht brandete.
Selbstverständlich konnte sich die »Halbrane« nicht durch die Klippen wagen, die ihren Kiel und ihre Seitenwände bedroht hätten. Sie mußte sich auf eine Rundfahrt beschränken, um zu erkennen, ob denn der ganze Archipel untergegangen sei. Daneben erschien es nöthig, an einzelnen Stellen zu landen, wo vielleicht da oder dort Spuren der letzten Ereignisse zu finden waren.
Etwa zehn Kabellängen vor dem größten Eiland angekommen, ließ der Kapitän Len Guy eine Sondierung vornehmen. Bei zwanzig Faden Tiefe fand sich Grund, jedenfalls der Boden einer versunkenen Insel, deren Mitteltheil das Meer noch um fünf bis sechs Toisen überragte.
Die Goelette näherte sich noch mehr und ließ bei fünf Faden den Anker fallen.
Jem West hatte für die Dauer einer Besichtigung des Eilands gegenzubrassen gedacht. Die starke Strömung hätte die Goelette dann aber weiter nach Süden hin getrieben. Es empfahl sich also mehr, in der Nähe der Gruppe vor Anker zu legen. Das Meer war hier fast still und der Zustand des Himmels ließ keine atmosphärische Störung befürchten.
Sobald der Anker in den Grund gegriffen hatte, bestiegen der Kapitän Len Guy, der Hochbootsmann, Dirk Peters, Martin Holt, noch zwei Mann und ich eines der Boote.
Nur eine Viertelseemeile trennte uns vom ersten Eiland. Diese wurde durch einige enge Wasserstraßen schnell zurückgelegt, die felsigen Spitzen verschwanden und tauchten in der Dünung wieder auf. Unausgesetzt überspült und abgewaschen, konnten sie keine Zeichen für die Zeit mehr aufweisen, in der das Erdbeben stattgefunden hatte.
Daß ein solches vorhergegangen war, stand bei uns, wie gesagt, außer allem Zweifel.
Das Boot drang zwischen die Felsen ein. Im Hintertheile stehend und die Ruderpinne zwischen den Beinen haltend, suchte Dirk Peters die Spitzen der Klippen, die oft in gleicher Ebene mit dem Wasser lagen,
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