Die Eissphinx
wohl ein einziger Zeuge desselben übrig bleiben?…
Man konnte beobachten, daß seit gestern, seit dem Augenblicke, wo der Curs direct nach Süden verlassen wurde, um zwischen den Eisbergen hindurch zu segeln, in der gewohnten Haltung des Mestizen eine Aenderung eingetreten war. Meist am Fockmaste hockend, die Blicke vom Meere abgewendet, erhob er sich nur, um bei einem Segelmanöver mit Hand anzulegen, verrichtete die Arbeit aber nicht mit dem Eifer und der Schnelligkeit wie früher. Auch er schien allen Muth verloren zu haben. Nicht daß er den Glauben aufgegeben hätte, daß sein Gefährte von der »Jane« noch lebte… ein solcher Gedanke konnte in seinem Gehirn nicht aufkommen! Instinctiv fühlte er aber jedenfalls, daß er in der jetzt eingehaltenen Richtung die Spuren seines armen Pym nicht wiederfinden werde.
»Herr Jeorling – würde er zu mir gesagt haben – verstehen Sie mich recht, bei diesem Curse ist nichts zu erwarten… bei diesem nichts!«
Was hätte ich ihm darauf antworten sollen?
Gegen sieben Uhr abends erhob sich ein so dichter Nebel, daß er die Fahrt der »Halbrane« sehr schwierig und gefahrvoll machen mußte, so lange er anhielt.
Dieser Tag voller Erregung, Angst, voll Schwankens zwischen Hoffnung und Enttäuschung hatte mich gänzlich erschöpft; so zog ich mich in meine Cabine zurück und warf mich völlig angekleidet aufs Lager.
Bei meinen quälenden Gedanken, bei der entsetzlichen Unruhe in meinem Innern konnte ich heute keinen Schlummer finden. Ich glaube gern, daß das so häufige Lesen des Werkes Edgar Poë’s, und noch dazu in einer Umgebung, wie die, wo seine Helden gelebt und geschmachtet, auf mich einen Einfluß geübt hatte, von dem ich mir kaum Rechenschaft gab.
Morgen sollten die achtundvierzig Stunden zu Ende sein, das letzte Almosen, das die Besatzung auf meine Bitte bewilligt hatte.
»Es geht wohl nicht nach Ihrem Wunsche?«hatte der Hochbootsmann zu mir gesagt, als ich in das Deckhaus eintrat.
Nein, gewiß nicht, da sich kein Land hinter der Flottille von Eisbergen zeigte, da zwischen den treibenden Massen keine Spur einer Küste aufgetaucht war, ließ der Kapitän Len Guy morgen gewiß nach Norden wenden…
Ach, daß ich nicht der Herr der Goëlette war!… Hätte ich sie, und wärs um den Preis meines ganzen Vermögens, kaufen können, wären unsere Leute meine Sclaven und meiner Peitsche unterworfen gewesen… niemals hätte die »Halbrane« diese Fahrt aufgegeben und hätt’ ich sie auch nach dem Ende der Erdachse führen sollen, über dem das Südliche Kreuz seinen Strahlenschimmer ausgießt!
In meinem erregten Gehirn schwirrten tausenderlei Gedanken, tausenderlei Klagen und Wünsche. Ich wollte aufstehen, es schien aber, als hielte mich eine schwere, unwiderstehliche Hand auf mein Lager gefesselt. Mich erfüllte das Verlangen, diese Cabine augenblicklich zu verlassen, den engen Raum, wo mich ein Alpdrücken im Halbschlafe peinigte – eines der Boote der »Halbrane« ins Wasser zu setzen, mit Dirk Peters, der mir gewiß folgte, hinein zu springen und uns dann der Strömung zu überlassen, die nach Süden… nach Süden zu lief…
Und ich that es… ja, ich that es… aber im Traume! Es war der nächste Tag; der Kapitän Lea Guy hatte einen letzten Blick nach dem Horizonte gerichtet und dann Befehl zur Umkehr gegeben. Eines der Boote wird vom Schiffe nachgeschleppt… ich sage es dem Mestizen… wir schlüpfen unbemerkt hinein… zerschneiden das Tau… während die Goëlette davongleitet, bleiben wir zurück und die Strömung trägt uns weiter…
So fahren wir über das stets offene Meer… endlich hält unser Boot an… da liegt ein Land vor uns… Ich glaube eine Art Sphinx, die Herrscherin auf der Südkappe der Erde, zu sehen… die Eissphinx… ich gehe darauf zu… frage sie… sie giebt mir Aufklärung über die Geheimnisse dieser unerforschten Gebiete. Dann tauchen rund um das mythologische Ungeheuer die Erscheinungen auf, die Arthur Pym für wirklich vorhanden hielt. Der Vorhang aus wogenden, von Lichtstrahlen gestreiften Dünsten zerreißt… da erhebt sich vor meinen erstaunten Blicken nicht jene Gestalt von übermenschlicher Größe, sondern Arthur Pym, der trotzige Hüter des Südpols, der die Flagge der Vereinigten Staaten von Nordamerika im Winde flattern läßt!…
Ob dieser Traum urplötzlich unterbrochen wurde oder die tolle Bilderreihe nur wechselte, weiß ich nicht, ich hatte allein die Empfindung, erweckt zu werden. Es schien mir,
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