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Die Eissphinx

Die Eissphinx

Titel: Die Eissphinx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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als wäre in der Bewegung der Goëlette eine Aenderung eingetreten, als gleite sie, sanft nach Steuerbord geneigt, über das so ruhige Meer… und doch… das war kein Rollen… kein Stampfen…
    Ja… buchstäblich… ich fühlte mich emporgetragen, als wäre meine Lagerstatt die Gondel eines Ballons… als wären in mir die Gesetze der Schwere aufgehoben…
    Ich täuschte mich nicht… ich war aus dem Traum zur Wirklichkeit zurückgekehrt…
    Einzelne Erschütterungen, deren Ursache mir noch entging, machten sich über mir bemerkbar. In meiner Cabine wichen die Wände aus der verticalen Richtung, so, als sänke die »Halbrane« stark auf die Seite. Gleich darauf wurde ich vom Lager geschleudert und es fehlte nicht viel, daß mir eine Ecke des Tisches den Schädel zertrümmert hätte.
    Endlich kam ich wieder in die Höhe, kroch mehr als ich ging nach der Thür, an die ich mich stemmte und die zuletzt dem Drucke nachgab.
    Da vernahm ich ein Knarren und Brechen in der Schanzkleidung, ein Krachen in der Schiffswand an Backbord.
    War die Goëlette doch noch mit einer der treibenden, ungeheuern Massen zusammengestoßen, der Jem West inmitten des Nebels nicht hatte aus dem Wege gehen können?
    Plötzlich erschallte wildes Geschrei über dem Ruff, auf dem Hintertheile, dann Schreckensrufe, in die sich die Stimmen der halb wahnwitzigen Mannschaft mischten…
    Endlich erfolgte noch ein letzter Stoß und die »Halbrane« blieb unbeweglich liegen.
Siebentes Capitel.
Der Umsturz des Eisberges.
    Ich mußte auf Händen und Füßen hinkriechen, um nach dem Verdeck zu gelangen.
    Der Kapitän Len Guy, der seine Cabine ebenfalls verlassen hatte, glitt auf den Knien hin, so schräg lag das Schiff nach Backbord, und hielt sich schließlich an einem Handgriff des Gangspills fest.
    Auf dem Vorderdeck, zwischen dem Castell und dem Fockmast, ragten einige Köpfe aus den Falten eines Segels hervor, das über die Leute wie ein zusammenbrechendes Zelt heruntergefallen war.
    An Steuerbord hingen an den Wanten Dirk Peters, Hardie, Martin Holt und Endicott mit entsetzten Gesichtszügen.
    In diesem Augenblicke hätten der Hochbootsmann und er gewiß die Hälfte der ihnen für die Weiterfahrt zugesicherten Belohnung darum gegeben, aus dieser Lage befreit zu sein.
    Da kam ein Mann auf Händen und Füßen zu mir herangekrochen, denn auf dem Deck konnte seiner schiefen Lage wegen niemand aufrecht stehen. Das Schiff hatte sich nämlich wenigstens um fünfzig Grad geneigt.
    Hurliguerly war es, der sich über die Planken hinschleppte.

    Lang ausgestreckt und die Füße gegen den Rahmen meiner Cabinenthür gestemmt, fürchtete ich nicht, weiter hinzurutschen.
    So reichte ich dem Hochbootsmann die Hand, um sich ihn neben mir aufrichten zu lassen, was uns nach einiger Anstrengung auch gelang.
    »Was ist geschehen? fragte ich.
    – Eine Strandung, Herr Jeorling!
    – Wie? Wir liegen an der Küste? rief ich.
    – Eine Küste läßt wohl ein Land vermuthen, antwortete der Hochbootsmann ironisch, doch was das Land betrifft, so hat es das nie anders als in der Einbildung dieses Teufelskerls Dirk Peters gegeben!
    – Nun… was ist dann vorgekommen?
    – Inmitten des Nebels ist ein Eisberg herangetrieben, von dem wir uns nicht klarhalten konnten…
    – Ein Eisberg. Hochbootsmann?
    – Ja… ein Eisberg, der grade diesen Augenblick gewählt hat, sich einmal auf eine andre Seite zu legen!… Beim Umdrehen hat er die »Halbrane« mitgenommen, als ob sie ein Spielzeug wäre, und so sitzen wir jetzt gut hundert Fuß über der Oberfläche des Antarktischen Meeres fest!«
    Wer hätte bei der abenteuerlichen Fahrt der »Halbrane« wohl an einen so seltsamen Unfall gedacht!… Hier im tiefsten Süden war unser einziges Transportmittel aus seinem natürlichen Elemente gerissen, durch den Umsturz eines Eisberges auf eine Höhe von über hundert Fuß gehoben worden! O, welches Ende mit Schrecken! Während eines Polarsturmes unterzugehen, bei einem Ueberfall durch Wilde umzukommen, zwischen mächtigen Eismassen zerquetscht zu werden, das sind Gefahren, denen jedes, durch die Polarmeere segelnde Schiff ausgesetzt ist. Daß die »Halbrane« aber von einem dahintreibenden Berge grade in dem Augenblicke, wo dieser eine andre Lage annahm, gepackt und hoch hinausgehoben wurde… nein, das ging über die Grenzen des Wahrscheinlichen hinaus!
    Ob wir bei den uns zu Gebote stehenden Mitteln imstande sein würden, die Goëlette von dieser Höhe wieder herunter zu befördern, vermochte

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