Die Eissphinx
kaum wiedergeben. Wir konnten darüber urtheilen, als das Boot unserer Goëlette an dem von Arthur Pym erwähnten steilen Felsenufer landete. William Guy und seine fünf Gefährten wären nun gewiß bald umgekommen, wenn sie nicht Gelegenheit gefunden hätten, die Insel, die ihnen keine Nahrung mehr bieten konnte, schleunigst zu verlassen.
Wenige Tage nachher warf nämlich die Strömung, nur einige Toisen von ihrer Höhle, ein Boot ans Ufer, das jedenfalls von dem Archipel im Südwesten hierher verschlagen worden war.
Ohne auch nur vierundzwanzig Stunden zu zögern, beeilten sich William Guy, Roberts, Covin, Trinkle, Forbes und Lexton das Boot mit soviel Proviant zu beladen, wie es nur aufnehmen konnte.
Leider wehte gerade eine sehr heftige Brise, eine Folge der seismischen Erscheinungen, die den lintergrund des Erdbodens ebenso wie die Luftschichten erschüttert und aufgeregt hatten. Diesem Winde zu widerstehen, erwies sich als unmöglich; er warf das Boot nach Süden zu, wo es in dieselbe Strömung gerieth, die unsern Eisberg bis an die Küste von Halbrane-Land getragen hatte.
Zweieinhalb Monate lang trieben die Unglücklichen über das offene Meer hin, ohne ihre Fahrtrichtung ändern zu können. Erst am 2. Januar des gegenwärtigen Jahres, 1840, kamen sie in Sicht eines Landes, das an der Ostseite des Jane-Sundes lag.
Wie wir bereits erkannt hatten, lag dieses Land höchstens fünfzig Seemeilen von Halbrane-Land entfernt. Ja, so kurz war die Strecke gewesen, die uns von denen trennte, welche wir so weit durch das Antarktische Meer gesucht hatten und kurz vorher nie mehr zu sehen hofften!
Von uns aus gerechnet, war das Boot William Guy’s viel weiter im Südosten gelandet. Und doch, welcher Unterschied gegen die Insel Tsalal, oder vielmehr welche Uebereinstimmung mit Halbrane-Land! Ein zu jeder Cultur ungeeigneter Boden, nichts als Sand und Felsen, weder Bäume, noch Gesträuche oder Pflanzen irgendwelcher Art! Bei der bald eintretenden Erschöpfung ihres Proviants sahen sich William Guy und seine Leidensgefährten dem schlimmsten Elend preisgegeben, dem zwei, Forbes und Lexton, in kurzer Zeit erlagen.
Die vier andern, William Guy, Roberts, Covin und Trinkle, wollten keinen Tag mehr auf der Küste verweilen, wo sie sich dem Hungertode geweiht sahen. Mit den wenigen noch übrigen Nahrungsmitteln schifften sie sich auf dem Boote ein und vertrauten sich nochmals der Strömung an, ohne wegen Mangel an Meßinstrumenten die Oertlichkeit, wo sie sich befanden, bestimmen zu können.
Da sie nun fünfundzwanzig Tage unter diesen Verhältnissen hin und her trieben, gingen ihre Hilfsmittel zu Ende und sie waren, nach achtundvierzigstündigem Fasten, nahe daran, zu unterliegen, als das Boot, in dem sie fast leblos zusammengesunken waren, in Sicht von Halbrane-Land erschien.
In derselben Minute hatte der Hochbootsmann es auch bemerkt und Dirk Peters, der sich ins Meer warf, war es geglückt, nach ihm hinzuschwimmen und es nach dem Ufer zu rudern.
In dem Augenblicke, wo er den Fuß in das Boot setzte, hatte der Mestize auch den Kapitän der »Jane« und die Matrosen Roberts, Trinkle und Covin wiedererkannt. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß sie noch schwach athmeten, ergriff er die Pagaien, führte das Boot dem Lande zu und rief, als er nur noch eine Kabellänge davon entfernt war, den Kopf William Guy’s erhebend, so laut, daß wir Alle es verstehen konnten:
»Er lebt!… Er lebt noch!«
Und jetzt sahen sich die Brüder auf diesem weltverlorenen Winkel von Halbrane-Land wieder vereinigt.
Fünfzehntes Capitel.
Die Eissphinx.
Zwei Tage später befand sich keiner von den Ueberlebenden der beiden Goëletten mehr auf diesem Punkte der antarktischen Küste.
Es war am 21. Februar um sechs Uhr morgens, als das Boot, jetzt mit dreizehn Insassen, die kleine Bucht verließ und die Spitze von Halbrane-Land umschiffte.
Seit dem vorgestrigen Tage hatten wir über die Abfahrt verhandelt. Wurde sie endgiltig beschlossen, so durfte keinen Tag mehr gezögert werden, in See zu gehen Noch einen Monat – doch höchstens einen Monat – war die Schifffahrt auf diesem Theile des Meeres zwischen dem sechsundachtzigsten und dem siebzigsten Breitengrade, d. h. bis zu der Stelle, die gewöhnlich durch den Packeiswall ziemlich ganz gesperrt wird, im günstigsten Falle möglich. Gelang es uns, in dieser Zeit bis darüber hinauszukommen, so war Aussicht vorhanden, einen Walfänger zu treffen, der seine Fangperiode noch nicht
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