Die Eissphinx
mangelhaftem Lichte erhellt. Häufige Dunstbildungen engten den Gesichtskreis bis auf wenige Faden Entfernung ein. Das verlangte natürlich eine erhöhte Wachsamkeit, um das Zusammenstoßen mit treibenden Schollen zu vermeiden, die langsamer als unsere »Paracuta« vorwärts kamen. Es sei auch nicht vergessen, zu erwähnen, daß der Himmel im Süden öfters im Scheine glänzender Südpolarlichter erglühte.
Die Temperatur nahm jetzt fühlbar ab und überstieg nicht mehr dreiundzwanzig Grad Fahrenheit (– 5° Celsius).
Diese Abnahme flößte uns lebhafte Besorgniß ein. Konnte sie auch die Strömung, die uns immer günstig blieb, nicht beeinflussen, so war davon doch eine Aenderung im Zustande der Atmosphäre zu befürchten. Und wenn sich mit der Zunahme der Kälte zum Unglück auch der Wind abschwächte, mußte die Fahrt des Bootes wohl um die Hälfte verlangsamt werden. Eine Verzögerung von zwei Wochen genügte aber, unsere Rettung in Frage zu stellen und uns zur Ueberwinterung am Fuße des Packeiswaites zu nöthigen. In diesem Falle mußte es, wie erwähnt, räthlicher sein, den Versuch einer Rückkehr nach Halbrane-Land zu wagen. Doch würde dann der Jane-Sund, durch den wir so glücklich gefahren waren, der »Paracuta« auch noch offenes Wasser bieten?… Noch mehr begünstigt als wir, mochten Hearne und seine Genossen, die uns um zehn Tage voraus waren die Eisbarrière vielleicht schon hinter sich gebracht haben.
Achtundvierzig Stunden später wollten der Kapitän Len Guy und sein Bruder unsere Position durch eine Beobachtung bestimmen, die der von Nebeln befreite Himmel gerade ermöglichte. Freilich streifte die Sonne eigentlich nur den Horizont, was die Operation wesentlich erschwerte. Dennoch konnte die Sonnenhöhe mit annähernder Genauigkeit gemessen werden, und die Berechnungen ergaben dann als Resultat:
Südliche Breite: 75°17’.
Oestliche Länge: 118°3’.
An diesem Tage, dem 12. März, befand sich die »Paracuta« demnach nur noch vierhundert Seemeilen vom Polarkreise entfernt.
Gleichzeitig bemerkten wir, daß die bis zur Höhe des siebenundsiebzigsten Breitengrades sehr beschränkte Meerenge sich nach Norden zu wieder mehr und mehr erweiterte. Selbst mit dem Fernrohr war im Osten kein Land mehr wahrzunehmen. Das war ein unerwünschter Zustand, denn die zwischen den beiden Ufern wenig eingeengte Strömung mußte bald an Schnelligkeit verlieren und schließlich ganz unmerkbar werden.
In der Nacht vom 12. zum 13. März stieg nach Abflauung der Brise ein ziemlich dichter Nebel auf. Das war bedauerlich, denn es vermehrte die Gefahr eines Zusammenstoßes mit dahintreibenden Eismassen.
Das häufigere Vorkommen von Nebeln konnte in jenen Breiten freilich nicht überraschen. Weit auffallender erschien es dagegen, daß die Schnelligkeit unseres Fahrzeuges sich, obgleich der Wind fast eingeschlafen war, allmählich beschleunigte. Von einer schnelleren Strömung konnte das nicht herrühren, denn das Anklatschen des Wassers am Vordertheil bewies uns, daß wir noch schneller als jene vorwärts kamen.
Diese Erscheinung dauerte bis zum Morgen an, ohne daß wir uns über das, was dabei eigentlich vorging, Rechenschaft geben konnten, wo dann, gegen zehn Uhr, der Nebel, wenigstens in den unteren Luftschichten, sich auflöste. Das westliche Ufer – ein Felsengestade ohne dahinter liegende Berge – wurde wieder sichtbar.
Da zeigte sich, etwa eine Viertelmeile von uns, eine Masse, die die Ebene um ungefähr fünfzig Toisen überragte und die einen Umfang von zwei-bis dreihundert Toisen haben mochte. Ihrer seltsamen Gestalt nach ähnelte die Masse einer gewaltigen Sphinx mit erhobenem Oberkörper und ausgestreckten Tatzen, in der Haltung des geflügelten Ungeheuers, das die griechische Mythologie auf die Straße von Theben versetzt hat.
War es ein lebendes Thier, ein riesiges Ungeheuer, ein Mastodon, doch tausendmal größer als die mächtigen Vettern der Elephanten der Polargebiete, von denen sich noch jetzt Ueberreste finden? Bei dem Geisteszustande, in dem wir uns befanden, hätte man das glauben – hätte man auch befürchten können, daß das Mastodon sich auf unser Fahrzeug stürzen würde, um es unter seinen Krallen zu zertrümmern.
Nach den ersten Augenblicken unverständiger Beunruhigung erkannten wir, daß es sich um eine Bergmasse von eigenthümlicher Gestalt handelte, deren Gipfel oder Kopf eben aus der Dunsthülle klarer hervortrat.
Ah… diese Sphinx!…. Da tauchte in mir eine Erinnerung
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