Die Eissphinx
überhaupt daran zweifeln konnte, daß die Abenteuer dieses Romanhelden erdichtet seien. Unter den zahlreichen Lesern des genannten Werks dürfte es – abgesehen vom Kapitän Guy – wohl keinen gegeben haben, der seinen Inhalt für wahr gehalten hätte.
Edgar Poe hat den betreffenden Bericht seiner Hauptperson in den Mund gelegt. Schon in der Vorrede erzählt Arthur Pym, daß er bei der Heimkehr aus den antarktischen Meeren unter den Gentlemen Virginiens, die sich für geographische Entdeckungen interessierten, Edgar Poe getroffen habe, der damals Herausgeber des
Southern Literary Messenger
in Richmond war. Seiner Darstellung nach, hätte Edgar Poe von ihm die Erlaubniß erhalten, in diesem Blatte, doch »unter dem Deckmantel freier Erfindung« den ersten Theil seiner Reise zu veröffentlichen. Bei der günstigen Aufnahme, die diese Mittheilungen allerorts fanden, folgte ihnen ein richtiger Band, der die gesammte Reise umfaßte, und unter dem Namen Edgar Poe’s herauskam.
Wie aus meinem Gespräche mit Kapitän Len Guy schon hervorging, stammte Arthur Gordon Pym aus Nantucket, wo er bis zum Alter von sechzehn Jahren die Schule von New-Bedford besuchte.
Nach Vertauschung dieser Schule mit der Akademie von M. E. Ronald schloß er Freundschaft mit dem um zwei Jahre älteren Sohne eines Kauffahrerkapitäns, August Barnard. Dieser junge Mann hatte seinen Vater schon einmal auf einem Walfänger nach den südlichen Meeren begleitet und entzündete die Phantasie Arthur Pym’s mächtig durch die Erzählungen von seiner Seefahrt.
Der vertraute Verkehr der beiden jungen Leute erweckte offenbar Arthur Pym’s unwiderstehliches Verlangen nach abenteuerlichen Reisen und die unbewußte Neigung, die ihn vor allem nach den hohen Breiten des südlichen Eismeers lockte.
Der erste unbesonnene Streich August Barnard’s und Arthur Pym’s war der Ausflug auf einer kleinen Schaluppe, dem »Ariel«, einem halb gedeckten Boote, das der Familie des ersteren gehörte. Eines Abends bei ziemlich kaltem Octoberwetter schifften sich beide, etwas angetrunken, heimlich ein, hißten das Fock-und das Großsegel und fuhren bei frischem Südwestwinde aufs Geradewohl aufs Meer hinaus.
Nachdem der »Ariel«, vom Ebbestrom unterstützt, schon außer Sicht des Landes gekommen war, erhob sich ein heftiger Sturm. Die beiden Tollkühnen waren noch immer ein wenig berauscht. Keiner stand am Steuer, kein Segel war gereest. Bei den wüthenden Windstößen wurden die Segel des Bootes weggerissen. Bald darauf tauchte ein großes Schiff auf, das den »Ariel« überfuhr, wie dieser eine treibende Flaumfeder überfahren hätte.
Bezüglich dieses Zusammenstoßes erzählt Arthur Pym die genauesten Einzelheiten der Rettung seines Genossen und seiner selbst, die übrigens nur unter großen Schwierigkeiten bewerkstelligt wurde. Kurz, Dank dem zweiten Officier vom »Pinguin« aus Neu-London, der auf dem Platze der Katastrophe eintraf, wurden die beiden Kameraden, dem Tode nahe, gerettet und nach Nantucket zurückbefördert.
Der Behauptung, daß dieses Abenteuer wirklich den Stempel der Wahrheit trägt, ja, daß es sich wirklich so zugetragen habe, widerspreche ich nicht. Es bildete eine geschickte Vorbereitung auf die folgenden Capitel. Ebenso könnte der Bericht in diesen und bis zu dem Tage, wo Arthur Pym den Polarkreis überschreitet, ohne Zwang für wahr gehalten werden. Hier spielt sich eine Reihe von Thatsachen ab, die mit der Wahrscheinlichkeit noch recht wohl übereinstimmen. Doch… jenseit des Polarkreises, jenseit des südlichen Packeises, da liegen die Dinge anders, und wenn der Verfasser hier nicht eine Frucht reiner Erdichtung geliefert hat, dann will ich gleich… doch fahren wir fort.
Jenes erste Abenteuer hatte die beiden jungen Leute nun keineswegs abgekühlt. Arthur Pym begeisterte sich mehr und mehr für die Seegeschichten, die ihm August Barnard erzählte, obgleich er herausfühlte, daß hier manche Uebertreibung unterlaufen mochte.
Acht Monate nach dem Vorkommniß mit dem »Ariel« – im Juni 1827 – wurde die Brigg »Grampus« durch die Firma Lloyd und Vredenburg für den Walfischfang in den südlichen Meeren ausgerüstet. Es war das nur ein alter, nothdürftig ausgebesserter Kasten, dessen Führung Herr Barnard, Augusts Vater, übernahm. Sein Sohn, der ihn begleiten sollte, redete Arthur Pym eindringlich zu, ihnen auf dieser Fahrt zu folgen. Dieser wünschte ja gar nichts anderes, seine Familie aber, vorzüglich seine Mutter, wären
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