Die Eissphinx
um den andern zu retten… doch sollten sie nicht beide elend umkommen?
Jem West stürmte nach dem Steuerrade und ließ die Goëlette durch eine völlige Drehung desselben um ein Viertel anluven – mehr war bei dem wüthenden Sturme der allgemeinen Sicherheit wegen nicht zu wagen. Dann wurden die wenigen Segel gegengebraßt, und das Schiff hielt sich nahezu an derselben Stelle.
Zuerst erblickte man auf der Oberfläche des schäumenden Wassers Martin Holt und Hunt, deren Köpfe daraus hervorragten.
Hunt schwamm aus Leibeskräften quer durch die Wellen und näherte sich dem Segelwerksmaat.
Dieser – jetzt schon eine Kabellänge entfernt, tauchte abwechselnd auf und unter… ein schwärzlicher Punkt, der in den tollen Wirbeln schwer zu erkennen war.
Nach dem Hinauswerfen von Fäßchen und Langholzstücken wartete die Mannschaft, die gethan hatte, was sie konnte, des Ausgangs der Tragödie. Ein Boot bei dem entsetzlichen Wogengange auszusetzen, daran war kaum zu denken. Entweder wäre es gekentert oder an der Wand der Goëlette zerschmettert worden.
»Sie sind beide verloren… alle beide!« murmelte der Kapitän Len Guy.
Dann rief er den Lieutenant an.
»Jem… das Boot, das kleine Boot!
– Wenn Sie Befehl geben, es ins Meer zu lassen, antwortete der Lieutenant, so werd’ ich als der erste darin Platz nehmen, obgleich es das Leben gilt. Doch ohne den ausdrücklichen Befehl…«
Es folgten einige Minuten ängstlichster Spannung für die Zeugen dieses Vorgangs. Niemand dachte mehr an die Lage der »Halbrane«, so gefährdet diese auch war. Alle Augen waren über Steuerbord hinaus gerichtet.
Plötzlich ertönten laute Rufe, als Hunt noch einmal zwischen zwei Wellenbergen sichtbar wurde. Er tauchte von neuem unter und darauf sah man ihn, als hätte er einen festen Stützpunkt für die Füße gefunden, mit übermenschlicher Kraft auf Martin Holt oder vielmehr auf die Stelle zustürzen, wo der Unglückliche eben versunken war.
Dadurch, daß Jem West die Schoten der Segel noch etwas hatte nachschießen lassen, war die Goëlette dieser Stelle bis auf eine halbe Kabellänge nahe gekommen.
Da übertönten neue Rufe den Lärm der entfesselten Elemente.
»Hurrah!… Hurrah!… Hurrah!« rief die ganze Mannschaft.
Mit dem linken Arme hielt Hunt den jeder Bewegung unfähigen Martin Holt wie eine Seetrift umklammert. Mit dem andern ruderte er kräftig vorwärts und näherte sich der Goëlette.
»Halte gegen den Wind… gegen den Wind!« befahl Jem West dem Steuermann.
Das Schiff drehte mehr bei und die Segel schlugen donnernd an die Masten.
Die »Halbrane« sprang gleichsam auf den Wogen, wie das sich bäumende Pferd, wenn das Trensengebiß es zurückhält, als sollte es ihm das Maul zerreißen.
Dem furchtbarsten Rollen und Stampfen preisgegeben, hätte man, um in dem gebrauchten Bilde zu bleiben, sagen können, daß sie auf einer Stelle courbeliierte.
Eine endlose Minute verstrich. Kaum vermochte man inmitten des brodelnden Wasserschwalls die beiden Männer zu unterscheiden, von denen einer den andern schleppte.
Endlich erreichte Hunt die Goëlette und ergriff ein daran herunterhängendes Sorrtau…
»Laß’ treiben… laß’ treiben!« schrie der Lieutenant dem Mann am Steuer zu.
Die Goëlette wendete wieder so weit, daß das Marssegel und der Sturmfock wirken konnten und kam damit annähernd in die frühere Richtung.
Im Handumdrehen waren Hunt und Martin Holt nach dem Deck heraufgehißt und der eine am Fuße des Fockmastes niedergelegt worden, während der andere schon bei dem neuen Segelmanöver mit zugriff.
Dem Segelwerksmeister wurde die seinem Zustande entsprechende Pflege zutheil. Nach einiger Zeit kam seine Athmung wieder in Gang. Durch tüchtiges Abreiben wurde er vollends zum Bewußtsein zurückgerufen und er schlug die Augen auf.
»Martin Holt, redete der Kapitän, der sich über den Mann gebeugt hatte, ihn an, da bist Du aber von weither wiedergekommen….
– Ja… ja freilich, Kapitän! antwortete Martin Holt, mit dem Blicke umhersuchend. Doch… wer hat mich noch gerettet?
– Das ist Hunt gewesen, rief der Hochbootsmann, Hunt, der für Dich sein Leben gewagt hat!«
Martin Holt richtete sich halb in die Höhe, stützte sich auf den Ellbogen und sah sich nach Hunt um.
Da dieser sich halb versteckt hielt, schob ihn Hurliguerly zu Martin Holt, aus dessen Augen die lebhafteste Dankbarkeit hervorleuchtete.
»Hunt, begann er, Du hast mich gerettet!… Ohne Dich… wär’ ich verloren
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