Die Eistoten: Thriller (German Edition)
Gruber schien über irgendetwas aufgebracht zu sein. Ihr Großvater beruhigte ihn, doch der alte Mann schüttelte sich wie eine getretene Katze, drehte sich um und verschwand in der Nacht.
»Sein Hund ist tot«, sagte ihr Großvater. »Man hat ihn vergiftet. Er hing an dem alten Köter.«
»Sonst hatte er ja niemanden«, fügte ihr Vater hinzu, »und selbst der Hund musste vor dem Haus schlafen, angekettet in seiner Hütte.«
»Das ändert nichts daran, dass der Gruber an dem Tier hing. Irgendjemand scheint es auf die Hunde in Hintereck abgesehen zu haben.«
»Toms Hund im Hotel wurde auch tot aufgefunden«, sagte Alice.
»Auch vergiftet?«, fragte ihr Vater.
»Dies könnte man nur durch eine rechtsmedizinische Autopsie feststellen.«
»Ach ja, ich vergaß, Fräulein Kommissarin«, sagte ihr Vater betont ironisch.
»Nur eine Autopsie …«, äffte Amalia sie nach.
»Ja, du dumme Pute. Denn nur so kann man genau sagen, womit der Hund vergiftet wurde, und wenn man weiß, welches Gift es war, dann kann man die Spur des Giftes zurückverfolgen. Toxikologischer Befund.«
»Toxi… was auch immer. Du redest wie immer nur, um dich wichtig zu machen.«
Alice blickte zum Kirchturm auf. Kurz vor zwölf. Was hätte Wittgenstein zu Amalia gesagt? Licht in ein oder das andere Gehirn zu werfen ist nicht unmöglich; aber freilich nicht wahrscheinlich.
»Und was ist die Vermutung von Fräulein Kommissarin?«, fragte ihr Vater. »An was ist Toms Hund gestorben?«
»Er ist höchstwahrscheinlich in den Kellerschacht gefallen und dort erfroren, nachdem man ihn vergiftet hatte. Ich habe den Hund nicht gesehen. Tom berichtete mir davon. Der Hund hatte Schaum vor dem Maul.«
»Wer bringt Hunde um?« Ihr Großvater sah in die Richtung, in der Gruber verschwunden war. »Möglich ist auch, dass der Hund des Alten erfroren ist und er ein schlechtes Gewissen hat. Deshalb hat er die Geschichte mit dem Gift erfunden.«
»Oberschrats Hund wurde auch vergiftet«, sagte Alice.
»Woher weißt du das schon wieder?« Ihr Großvater schien überrascht zu sein.
Stammtisch. Außerdem ist es in Hintereck fast unmöglich, etwas geheim zu halten. Nur manche Dinge kommen nie ans Licht.
»Mir ist kalt«, quengelte Amalia. »Können wir endlich nach Hause?«
Alice beobachtete jeden, der aus der Kirche kam, aufmerksam. Einige waren immer noch betrunken. Die konnte sie ausschließen. Großvater begrüßte viele durch Nicken. Tom tauchte nur kurz auf. Sie sah ihn gerade noch, als er in den schwarzen Jeep seines Vaters einstieg. Ihr Großvater war mit Peter Wegener in ein Gespräch verwickelt. Ob Wegener wusste, dass sie heute eine Mädchenleiche in der Nähe seiner Hütte im Wald gefunden hatten? Warum entfernte sich ihr Großvater und sprach betont leise? Nein, dachte Alice, es war unmöglich. Wenn ihr Großvater etwas von der Toten im Wald gewusst hätte, dann hätte er es bereits ihrem Vater erzählt. Doch was hatte er da mit Wegener zu reden? Sie ging gezielt auf Adelheid Grundinger zu. Sie hatte die alte Frau schon seit August nicht mehr gesehen. Die wohnte in der stillgelegten Wassermühle, nicht weit vom Gruberhof. Ihr Mann war nicht aus dem Krieg heimgekehrt. Sie wartete noch immer, obwohl er wie sie schon die neunzig weit überschritten haben musste. Und zwar, weil er ihr versprochen hatte, zu ihr zurückzukommen. »Das ist ein Versprechen vor Gott«, hatte die alte Frau gesagt, als Alice die Äpfel vor ihrem Haus eingesammelt hatte. Sie hatte auf der Bank vor ihremHaus gesessen und Alice zugeschaut, wie sie von einem Apfel zum anderen gesprungen war. Am Ende behielt sie nur eine Kiste. Die anderen Kisten nahm Alice mit nach Hause. Ihr Großvater machte Most daraus, und ihr Vater lagerte sie im Keller ein. Irgendwann fiel Alice auf, dass die alte Frau manchmal für Minuten in eine Richtung starrte. Alice drehte sich um und sah die leeren Felder, Blätter, die im Wind durch die Luft wirbelten, sonst nichts. Adelheid Grundinger hatte Alices neugierige Blicke bemerkt.
»In diese Richtung ging er weg, mit seinem Rucksack. Ich habe ihm noch die Brotzeit gerichtet. In Sonthofen hat man sie gesammelt. Von da an ging es nach Russland. Und aus dieser Richtung wird er auch wieder kommen, mein Alois.«
»Wenn er aber nicht mehr kommt?«
»Dann komm ich halt zu ihm.« Sie lachte mit ihrem zahnlosen Mund. »So ist das. Irgendwann verstehst du das. Du bist ein kluges Kind.«
Alice schüttelte die Hand der alten Frau. Sie war inzwischen noch
Weitere Kostenlose Bücher