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Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Eistoten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Buder
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wegwischenden Handbewegung ab, »ich komme in ungefähr einer halben Stunde wieder.«
    Karate gegen Wörter, die wie Eiswürfel waren. So ähnlich ging ihr Vater gegen Leute vor, gegen die er nichts ausrichten konnte. Es war also sein Ernst, er kam in einer halben Stunde wieder. Und wenn dies nur eine abgesprochene Sache war? Wenn ihr Vater das lange vorbereitet hatte und er gar nicht vorhatte zurückzukommen? Wenn man sie danach gleich in die psychiatrische Klinik brachte? Abgekartete Sache. Doch warum sollte ihr Vater das tun?
    Dann saß Alice allein im Wartesaal auf einem der abwaschbaren grünen Plastikstühle. Vor ihrem inneren Auge sah sie eine junge drogensüchtige Frau, die ausgerastet war und auf den Stuhl urinierte. Zwei Pfleger hielten sie, neben ihr saß ein Mann, der sich die Pulsadern mit einem Brieföffner aufschnitt und sich wie wild drehte, so dass der ganze Wartesaal von seinem Blut gesprenkelt wurde, und dabei »Endstation, alle aussteigen« rief. Sie schreckte auf. Die grünen Stühle waren wieder leer, kein Blut, keine Pisse. Auf dem Tisch lagen Zeitschriften: Psychiatrie heute , National Geographic , Brain and Mind . Den Mann mit der Glatze auf dem Titelbild kannte sie. Es war Michel Foucault. Ein zeitgenössischer Philosoph. 1984 an Aids gestorben. Der erste Artikel handelte von Foucaults Buch über den Wahnsinn: Wahnsinn und Gesellschaft. Wahnsinn war nichts Krankes, sondern ein Phänomen der aufgeklärten Gesellschaft. »Es war die Praktik der Vernunft, die zur gesellschaftlichen Norm geworden war, die das Andere absonderte. Das Abgesonderte war der ›Wahnsinn‹, und dieser wurde zum Schweigen gebracht.« Nach dem Motto: Erkläre deinen Nachbarn für verrückt, wenn du selbst für gesund gelten willst. Warum hielt niemand ihren Vater davon ab, sie für verrückt zu erklären? Nichteinmal Großvater? Was hatte Großvater mit dem Tod Zugls zu tun?
    Alice hörte ihren Namen. Sie dachte erst, dass Foucault sie rief. Doch sie hatte nichts von ihm gelesen, sondern nur einen Artikel. Und sie musste lange und tief lesen, dass etwas geschah … Wittgenstein hatte sie zwei Tage lang gelesen, fast ohne Unterbrechung, bis er plötzlich auftauchte. Vielleicht war er auch schon früher da gewesen. Sie sah ihn nur nicht. Doch die Stimme, die sie jetzt rief, war blechern. Alice musste an einen billigen Anrufbeantworter mit Automatenstimme denken. Es war die Stimme der Praxishelferin.
    »Der Doktor wartet auf dich.«
    Alice zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, ich habe keine Lust mehr, den Doktor zu sehen.«
    Die Praxishelferin kam auf sie zu. »Hör bitte auf, hier rumzuzicken! Dass wir uns da verstehen: Ich werde mit ganz anderen hier fertig.«
    Die Hand der Praxishelferin nahm Alice am Arm.
    Ich bin zum Teufel keine Marionette. Alice überlegte eine passende Antwort, fand sie aber nicht. Das Privileg von Leuten, die einen am Arm packen, war, dass sie auf jede Erklärung verzichten konnten. Dies war das Nächste, was Alice in ihrem Leben ändern würde.
    Alice drehte sich aus dem Griff und schüttelte die Hand der Helferin ab. Sie murmelte etwas hinter ihr, dann stand sie vor Doktor Schreber.
    Das Erste, was Alice im Behandlungszimmer des Psychiaters auffiel, waren die Plastikstühle. Dasselbe Kotzgrün wie im Warteraum. Mit Grün konnte Alice noch nie etwas anfangen. Es war eine unappetitliche Farbe. Dschungel, Algen, Spinat und gewürgter Gallensaft.
    »Hallo, Alice«, sagte der Psychiater, der zu ihrer Überraschungkeinen weißen Mantel trug. Keine Uniform der Gesunden.
    »Hallo!« Was sollte sie schon anders antworten? Im Ton des Arztes hörte Alice, dass er sie für ein kleines unmündiges Kind hielt. Auffällig war, dass der Psychiater extrem lange und gepflegte Finger hatte. Er spielt Piano. Alice musste an einen Weberknecht denken, der über eine Klaviertastatur läuft. Der Arzt stellte sich umständlich lange vor. Das sollte sie beruhigen. »Ja, ich weiß, dass Sie Paul Schreber heißen. Steht draußen auf dem Schild. Doktor Paul Schreber. Psychiater.«
    »Du bist ein aufmerksames Kind.«
    »Ich kann lesen.«
    »Und ziemlich direkt. Kein langes höfliches Geplänkel, gleich zur Sache, oder?«
    »Ich bin nicht freiwillig hier, sondern auf Anordnung meines Vaters. Er wollte ja unbedingt einen Termin haben.«
    »Dein Vater hat mir gesagt, dass du einverstanden warst, zu mir zu kommen.«
    »Da hat mein Vater wohl nur die Hälfte gesagt. Ich habe überhaupt kein Bedürfnis, einen Irrenarzt zu

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