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Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Eistoten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Buder
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das Handy einen letzten Seufzer, und die Batterie war leer. Der Bildschirm wurde schwarz.
    Der Stromausfall dauerte die ganze Nacht. Der Sturm hatte Teile der Stromleitungen abgerissen, und in Hindelang brannte in der Früh noch kein Licht. Kein Fernseher und kein Radio liefen. Die leuchtenden Christbäume waren zu dunklen Fingern erstarrt. Die alten Leitungen, die Hintereck mit Strom versorgten, waren robuster. Am Morgen schaute Alice aus dem Fenster. Die Leiter war wieder verschwunden und lag, wo sie immer lag, auf dem aufgestapelten Schnittholz. Die Schneewehen hatten von der Auffahrt nichts mehr übrig gelassen. Selbst Großvaters Rover kam hier nicht mehr durch.
    Sie stöpselte ihr Handy an und wartete zwei Minuten, bis der Ladebalken ein Minimum anzeigte. Für einen Anruf würde es reichen. Nur der Anrufbeantworter. Mein Gott, Tom wird doch nicht so blöd gewesen sein und vor die Tür gegangen sein.
    Der Mörder hatte sie gestern durch das Fenster beobachtet. Im Sturm sah ihn niemand, wie er die Leiter hochkletterte. Und wenn schon, dann hätte man ihn für ihren Vater oder Großvater gehalten, der die Fensterläden festzurrte. Er wartete, bis sie schlafen ging, und brach dann das Fenster auf. Auch wenn Alice es gehört hätte, sie hätte gar nicht die Zeit gehabt, um zu reagieren. Vielleicht hätte er sie nach draußen gezerrt, sie bewusstlos geschlagen und dann einfach liegen lassen. Dann wäre sie die nächste Eistote gewesen. Und Selbstmord stand einer Verrückten ja gut. Ihr Vater hätte sofort daran geglaubt. Sie ist einfach nicht mit ihrem Tod fertig geworden. Sie war noch so klein, als es geschah … Wer hier auch am Werk war, der ging nicht planlos vor. Dahinter steckte eine tödliche Mechanik, die Mechanik eines Serienmörders.
    Eigentlich hatte Alice sich vorgenommen, mit Amalia nichts mehr zu reden. So wie Wittgenstein nichts mit ihr redete, so wie kein Mensch jemals mit Amalia über etwas anderes reden würde als über Frisuren, Klamotten und Vier-Wochen-Bauch-Weg-Programme, doch manchmal gab das Schicksal eine andere Richtung vor. Für die Hintereckler war Schicksal alles, wogegen sie nichts ausrichten konnten. Schneelawinen im Frühling, Eisstürme, die trocknen Sommer und die verdorrten Almen, die Verwaltung in Hindelang samt Gemeinderat und die Steuer. Die Lawine, die im letzten Jahr eine ganze Familie begraben hatte, war für die Hintereckler ein unvermeidbares Ereignis. Wer dort war, hatte einfach Pech gehabt. »Dort ging seit Jahrhunderten keine Lawine mehr runter«, hatte der Betreiber der Skipiste gesagt. »Zufall. Kein Schicksal«, hatte ein Bärtiger gemeint, der mit einem Glas Punsch in der Schlange zum Sessellift stand. Ein zugewachsener Opi, wie ihr Vater die Alten mit ihren wuschigen Graubärten nannte. Niemand hatte gehört, was er sagte. »Hätte jemand damit rechnen können, dass an diesem Hang eine Lawine runterkommt, dann wäre es Schicksal gewesen.« Alice hatte keine Zeit mehr gehabt, um den Alten zu fragen, wer er war, so dass sie ihm einfach hinterherrief. Bevor er zur Einstiegsrampe ging, hatte er sich umgedreht. Mit dem Skistock zeichnete er ein paar Zeichen. Es waren Buchstaben, wie sie Alice bisher noch nie gesehen hatte. Aριστοτέλης . Im Internet hatte sie nicht lange gebraucht, um herauszufinden, wer mit den Zeichen gemeint war. Aristoteles. Sie hatte sich unter dem Philosophen, der vor 2300 Jahren gelebt hatte, jedoch keinen so kräftigen und athletischen Greis vorgestellt. Es war das einzige Mal, dass sie ihn gesehen hatte. Doch später zweifelte sie, ob es wirklich griechische Zeichen gewesen waren.
    Für die Hintereckler war Schicksal nichts anderes als der Abgangeiner Lawine oder der Einschlag eines Kometen. Was sich aber Alice anbot, war kein Zufall, sondern ein Glücksfall, eine Gelegenheit, die wie ein Apfel an einem niedrigen Ast hing. Pflück dir einen! Sie nahm die Tube auf der Konsole. CA-Verbundklebstoff. Cyanoacrylat war ein Einkomponenten-Akrylklebstoff. Trocknet in Sekunden durch den Kontakt mit Luftfeuchtigkeit. Ihr Großvater hatte damit eine zerbrochene Vase geflickt. Für ihre Zwecke perfekt. Schließlich war sie verrückt, und Verrückte taten nun einmal verrückte Dinge.
    Abfahrbereit wartete Alice vor dem Haus. Ihr Großvater hatte einen Korridor bis zur Straße frei geschippt. Der Schneepflug hatte die Einfahrten mit grauweißen Schneehaufen zugeschoben. Jeder wartete, bis der Schneepflug durchgefahren war, dann begann man den Schnee

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