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Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Eistoten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Buder
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Kommissar, der mit dem Fahrrad zur Arbeit fuhr und den ganzen Tag die Wäscheklammer an der Hose ließ. Von solch einem Typen brauchte sie keine Hilfe zu erwarten. Sie war auf sich allein gestellt. Wer wusste, was Engelhardt für ein Mensch war. Seine Frau verbrachte ihre Abende auf Kursen für cholesterinarmes Kochen. Seit Jahrzehnten packte sie ihrem Mann die Brotzeit in eine Tupperbox. Sie dachte schon gar nicht mehr darüber nach. Wenn man sie kurz vor ihrem Tod danach fragte, was sie in ihrem Leben erreicht hätte, dann würde sie nicht sagen, dass sie zwei oder drei Kinder in die Welt gesetzt, sondern dass sie die Brotzeit in Tupperware eingepackt hatte. Was erwartete Alice von einem Mann, der jeden Tag seine Brotzeit aus der Tupperbox holte? Engelhardt stellte keine Fragen, und er mochte auch keine Fragen.
    Alice rief Tom an. Es meldete sich nur sein Anrufbeantworter.
    Was hatten Leute wie ihr Großvater und Lehmko in Hintereck zu suchen? Warum verbrachten sie ihr Leben in einem Kaff, das von den Bergen eingekeilt war, das im Winter auf den Skiprospekten als Skiparadies verkauft wurde, in Wirklichkeit aber nur eine öde und eisige Landschaft war?
    Alices Vater war auf dem Sofa eingeschlafen. Amalia telefonierte oben. Die Frage erübrigte sich, mit wem. Stephan Lehmko, Sohn von Adibert Lehmko. Wohl der Einzige, der in Hintereck etwas im Schädel hatte, was nicht den Musikverein betraf oder den Skitourismus. Ausgenommen ihr Großvater.
    Alice nahm die Fernbedienung des Fernsehers und schaltete von Kanal zu Kanal. Sie hatte noch nie verstehen können, wie die Menschen ein Viertel ihres Lebens vor dieser flimmernden Kiste verbringen konnten. Eine Weile sah sie einen Film auf RTL, in dem ein Mädchen in einer psychiatrischen Klinik eingesperrt war und die anderen Insassen sich in lauter Zombies verwandelt hatten. Der Film wurde von Werbung unterbrochen. Für eine Lebensversicherung. Der ganze Film war nur ein Vorwand, um die Werbung zu bringen. Der Zuschauer befand sich angespannt auf seinem Sofa und sah, wie die Zombies das Mädchen jagten. Alice hatte gelesen, dass die Angst, die man bei solchen Filmen empfand, unterschwellig auf die Psyche wirkte. Eine Angst, von der man sich mit einer Versicherung freikaufen konnte.
    Sie schaltete weiter. Eine Dokumentarsendung. Ein Reporter. Verwackelte Bilder einer staubigen Stadt. Die Häuser zerbombt, ohne Fenster. In den Straßen zerlumpte Menschen. Am unteren Bildschirmrand erfasste die Kamera die Hand eines Menschen, die nach der Kamera zu greifen schien. Das Bild wackelte, Trümmer und Leichen, brennende Balken vor einem fahlen Himmel, ein Stadtschild am Boden: BERLIN. Durch das Bild fuhr ein amerikanischer Military Jeep. Die Kamera drehte auf einen Mann, der langsam durch das Bild lief. Alice konnte es kaum fassen. Wittgenstein. Was hatte Wittgenstein im zerbombten Berlin zu suchen? In einer Aufnahme von 1945? Er war aus dem Nazideutschland nach England geflohen. Er lehrte dort in Cambridge. Sie konnte sich an keine Stelle in seiner Biografie erinnern, die besagte, dass Wittgenstein zu dieser Zeit in Berlin war. Dennoch lief er durchs Bild mit seinem abgewetzten Cordanzug, und nicht nur das, er winkte in die Kamera. Wittgensteins Lippen bewegten sich, doch ohne Ton. Alice schaltete den Fernseher lauter. Die Lautsprecher rauschten bereits. Da hörte sie seine Stimme, weit weg.
    »Das ist das Werk der Schatten … wenn der Wahnsinn zur Normalität wird.«
    »Wittgenstein«, flüsterte Alice, »ich weiß ja selbst nicht, ob ich nicht verrückt bin.«
    »Solange du dir noch die Frage stellen kannst, bist du nicht verrückt. Du solltest dir erst dann um deinen Verstand Sorgen machen, wenn du alles erklären kannst.«
    »Ich weiß nicht weiter, Wittgenstein. Es ist so schrecklich. Die Polizei hat Großvater verhaftet. Sie halten ihn für einen Mörder. Niemand tut etwas dagegen.«
    Wittgenstein trat deutlicher ins Bild. Er klopfte sich den Staub von der Schulter.
    »Ich bin das erste Mal in Berlin. Ich wusste nicht, dass ich auch hierher kann.«
    »Wie sind Sie nach Berlin gekommen … ich meine, Sie sind ja tot?«
    »Mit dem Zug, aber Zeit und Raum sind seltsam vermischt. Du gehst durch eine Tür, klopfst an und stehst plötzlich auf einem Platz, in einer unbekannten Stadt, in einer unbekannten Zeit. Sehr verwirrend.«
    »Und warum kommen Sie nach Hintereck?«
    »Ich weiß aber nicht, wie dies zustande kommt. Hintereck erinnert mich an Trattenbach. In Trattenbach störte

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