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Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Eistoten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Buder
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sobald Amalia 17 ist und ich 19.«
    Stephans Stimme färbte sich wieder schwärmerisch. Offenbar meinte er es ernst. Alice hatte keinen Kopf für sein Geplänkel von Liebe auf den ersten Blick, Heirat, Treue … Ihr Blick fiel noch einmal auf die Familienporträts zwischen den Regalen. Es konnte ein Zufall sein, doch auf den unteren Fotos waren bis auf das Familienoberhaupt nur Frauen zu sehen. Und auf jedem Foto waren die Frauen in derselben Position abgebildet. Generation um Generation wurden es weniger.
    »Meine Ururgroßeltern, Urgroßeltern, Großeltern …«
    »Deine Mutter ist auf keinem Foto?«
    »Das sind die Ahnen meines Vaters.«
    »Lauter Frauen auf den Bildern. Wo ist deine Mutter?«
    »Sie ist tot.«
    »Sorry, das wusste ich nicht.«
    »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du hast ja auch deine Mutter verloren.«
    »Und wozu diese Ahnengalerie?«
    »Um zu wissen, woher man kommt. Es ist wichtig, zu wissen, woher man kommt, denn es ist der Wegweiser, wohin man geht.«
    Alice stellte sich vor, dass Amalia eines Tages auch auf so einem Foto stehen würde. Mit demselben versteinerten Blick, verewigt in der Familienchronik der Lehmkos. Sie zog sich ihre Mütze auf. Stephan reichte ihr noch einen Brief, den sie Amalia aushändigen sollte. Im Flur war es dunkel. Wieder überkam sie ein dumpfes Gefühl, so als stünde der weiße Clown irgendwo in dem düsteren Vorraum. Eine Figur aus einem Schundroman, geschrieben von Adibert Lehmko. Sie schwor sich, achtzugeben,was sie von nun an lesen würde. Jetzt musste sie Tom finden, ihn beruhigen. Keine überstürzten Verdächtigungen. Die Angst war ein schlechter Ratgeber. Sie trat in die Kälte. Als sie draußen war, wurde ihr plötzlich klar, was an den Fotos von Lehmkos Familie so seltsam war.

29.
    Verschwinde von da …
    Warum war Tom nur so aufgebracht gewesen? Wen hatte Tom gesehen? Hatte er überhaupt jemanden gesehen?
    Es dämmerte, als Alice den Weg zu ihrem Haus ging. Am Hang auf der anderen Seite des Dorfes glitzerten die Lichter des Hotels. Es hatte wieder zu schneien begonnen. Ein Mensch, der Angst hatte, konnte nicht denken, geschweige denn einen vernünftigen Bericht abliefern. Doch die Aufzeichnung hatte funktioniert, so viel hatte sie aus dem Wortschwall Toms herausfiltern können. Die Geschichte der alten Grundinger war nichts Neues. Alice konnte sich vorstellen, dass sie seit 1945 jeden Tag auf ihn wartete und der Pfarrer ihre Geschichte in- und auswendig kannte. Und dann war der Eismörder zur Beichte gekommen? Tom hatte ihn nicht gesehen. Die einzige Möglichkeit, die blieb, waren die Aufzeichnungen. Schlechter hätte es nicht laufen können. Jemand hatte das zweite Handy im Beichtstuhl gefunden. Wie sie Tom kannte, hatte er nicht einmal die Kontakte und gespeicherten Rufnummern auf diesem Handy gelöscht. Sie hatte sich nicht getäuscht. Es gab ihn, den Eismörder.
    Du bist noch nicht ganz durchgeknallt. Vielleicht gehörst du einfach zu den wenigen genialen Menschen auf dieser Welt, sagte sie zu sich selbst. So muss es sein.
    Der Parkplatz vor ihrem Haus war freigeschippt worden. Schneeberge türmten sich dort auf, wo im Sommer die Rosenbeete waren. Die Kälte und der fallende Schnee erstickten ganz Hintereck. Kein Laut drang den Hang herauf. Kein Hund bellte, keine Kreissäge kreischte, kein Motor. Auf der freigeräumten Straße schlängelte sich das Lichterpaar eines Wagens nach oben. Erst dachte Alice, es sei der Wagen ihres Vaters, doch der stand schon vor dem Haus.
    Sie ging ins Haus. Sie hatte ihre Schuhe noch nicht ausgezogen, als sie die gedrückte Stimmung spürte. Ihr Vater saß am Tisch und hatte die Hände vor seinem Gesicht. Ihr Großvater spielte mit einem Kugelschreiber. Sie schienen auf etwas zu warten. Sie waren so in eine unsichtbare Wolke aus düsterem Schweigen gehüllt, dass sie Alice gar nicht bemerkten. In der Küche fand sie Amalia. Sie machte sich ein Honigbrot.
    »Was ist denn los?«, fragte Alice.
    »Keine Ahnung. Es gibt mächtigen Stunk. Es kam ein Anruf für Vater. Er hat die Tür geschlossen, und dann hat er Großvater angeschrien. Zehn Minuten haben sie sich angeschrien.«
    »Um was ging es?«
    »Was weiß ich, ich lausche nicht …«
    »Und um was ging es, auch wenn du nicht gelauscht hast?«
    »Es hatte was mit Großvater zu tun … Ich weiß es nicht. Jedenfalls habe ich Vater noch nie so erlebt. Was ist das?«
    Amalia schaute auf den Brief, den ihr Alice hinhielt, als wäre es ein Schulzeugnis mit lauter

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