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Die Elefanten Hannibals

Die Elefanten Hannibals

Titel: Die Elefanten Hannibals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Nemirowski
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verlangt worden war. Und daß von der aus fünfzig Elefanten bestehenden Herde nur noch das Leittier übrig war, lag nicht an ihm.
    Er streichelte Surs Rüssel. „Sur, mein Junge!" flüsterte er. Sur war ein Teil seines Vaterlandes, das fern, hinter Meeren, Bergen und Wüsten lag. Vielleicht würde er es niemals wiedersehen. 
    Hannibal befahl, in das alte Lager zurückzukehren. Wer die von den Bergen hinabsteigenden Karthager sah, konnte annehmen, daß sie kurz zuvor eine schwere Niederlage erlitten hatten, denn sie taumelten vor Erschöpfung.
     
     
Der letzte Elefant
     
    Das Siebengestirn stieg am Himmel empor und wies den Schiffern den Weg. Von Süden blies ein feuchter Wind, der Föhn. Die Sonne leuchtete, von den Bergen des Apennins schäumten die Tauwässer und überschwemmten die Täler. Der Frühling war gekommen, heftig und ungeduldig, der erste Frühling, den Hannibal in Italien erlebte. 
    Man sagt, der Frühling sei die Zeit der Liebesgöttin. Aber zu hören waren nicht die Seufzer verliebter Paare, sondern gluckerndes Wasser und schmatzender nasser Lehm, in dem Menschen und Pferde steckenblieben. Da waren keine Nachtigallenlieder, sondern das angestrengte Schnauben von Pferden und die Peitschenhiebe, die auf ihre nassen Rücken klatschten. Das Frühjahr ist auch die Jahreszeit des Krieges. Deshalb tauften die Römer den ersten Frühlingsmonat, den März, nach ihrem Kriegsgott Mars.
    In diesem Frühjahr hatte der furchteinflößende Mars einen ebenbürtigen Gegner erhalten, den Gott Melkart aus dem heißen Afrika mit seinen feurigen numidischen Pferden und dunkelhäutigen Reitern. Das karthagische Heer zog durch die Sümpfe der italischen Provinz Etrurien. Hannibal hatte erfahren, daß Flaminius wiederum zum Konsul gewählt worden war und ihm die Straße nach Rimini versperren wollte. Deshalb zog er quer durch die überschwemmten Täler. 
    Plötzlich zuckte sein Pferd zusammen und begann zu taumeln. Er sprang aus dem Sattel, ohne die Zügel aus der Hand zu lassen. Das Pferd knickte in den Knien ein, versuchte mit einer letzten verzweifelten Anstrengung sich wieder aufzurichten und sank dann endgültig zu Boden. Tränen standen ihm in den sanften Augen. Dieses Pferd hatte Hannibal noch von seinem Vater zum Geschenk erhalten. Er erinnerte sich noch ganz genau an die Worte des Vaters: „Du mußt lernen, besser zu reiten als jeder andere." Diese weinenden Pferdeaugen hatten in die Flammen von Sagunt, auf die schäumende Rhone und auf die Schneegipfel der Alpen geblickt. Hannibal war so traurig, als würde er von seinem besten Freund verlassen.
    Niedergeschlagen erklomm er den Elefanten, den Richad lenkte. Erstaunlich, wie zäh Sur war! Er hatte sämtliche Elefanten überlebt. 

    Die gewaltigen Knochen seiner indischen und afrikanischen Brüder bleichten nun in den Alpen und im Apennin. Nach hundert oder gar tausend Jahren würden die Menschen sie finden und staunend fragen: Haben hier einst Elefanten gelebt? Und dann würde man ihnen antworten, daß es in dieser Gegend niemals Elefanten gegeben hätte, ausgenommen jene, mit denen er, Hannibal, einst hergekommen war, um den Letzten Willen seines Vaters zu erfüllen. „Die Elefanten müssen Rom zertreten, hört ihr, junge Löwen?" hatte der Vater auf dem Totenbett gesagt. Und Hannibal hatte diese Worte vernommen, obgleich ihn zu jener Stunde viele Meilen von seinem Vater trennten. Er hatte die Elefanten über Berge, Flüsse, Sümpfe gegen Rom geführt.

    Von Surs Rücken aus konnte er das ganze Heer überblicken. Hinter den Afrikanern und Iberern marschierten die Gallier. Oft versanken sie bis zum Gürtel im Schlamm, den viele tausend Füße vor ihnen zerwühlt hatten, und würden vermutlich mit größter Freude auf sämtliche künftigen Beutezüge verzichten, falls sie die Möglichkeit zur Heimkehr hätten. Doch hinter ihnen ritt die Reiterei, von Magarbal und Magon befehligt; sie hielt jeden Flüchtling mit Gewalt zurück. 
    Fünf Tage und fünf Nächte dauerte dieser Marsch. Klebriger Schweiß stand Hannibal auf Gesicht und Körper. Er war am Sumpffieber erkrankt. Man erzählte sich, daß die Bewohner dieser Gegend dem Fieber sogar Altäre errichteten und es wie eine Gottheit verehrten. Richad, der neben Hannibal saß, schlang ihm ein in Sumpfwasser getauchtes Tuch um den Kopf.
    „Vater!" schrie Hannibal mit ausgestreckten Armen. „Ich war außerstande, deinen Auftrag auszuführen! Sophonisbe stellte sich mir in den Weg. Masinissa verschwand in

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