Die Elefanten meines Bruders (German Edition)
vergessen?“
Mein Fuß zuckte und ich fing an zu schlaumeiern.
„Sie wissen doch, dass Chamäleons wechselwarme Tiere sind. Bestimmt ist Otto jetzt tot, weil wir ihn vergessen haben und er in eine Starre gefallen ist.“
Es hatte in der Nacht sogar ein wenig Frost gegeben, deshalb wusste Monas Vater, obwohl er total verkatert war, was die Stunde geschlagen hatte.
„Oh Gott“, sagte er und legte auf.
Um sieben rief Mona an und heulte. Sie war völlig durch den Wind.
„Carl ist tot“, sagte sie, und ich ließ erstmal den Hörer fallen und rannte schreiend durch die Wohnung. Es war, als hätte sie „Phillipp“ gesagt. Ich schrie wie am Spieß, blieb dann stehen und stieß meinen Rainmain-Schrei aus. Ich hyperventilierte so stark und schrie so viel, dass ich bestimmt in Ohnmacht gefallen wäre. Aber plötzlich stand mein Vater in Unterhose neben mir und schüttelte mich, sagte dass ich mich beruhigen sollte und gab mir eine Ohrfeige, als er merkte, dass er nicht bis zu meinem Fusionsreaktor durchdringt. Kinder darf man nicht schlagen. Aber ich glaube, anders hätte er mein Notaus-Programm nicht mehr anhalten können.
Ich war schlagartig ruhig, schlotterte aber wie bei Schüttelfrost. Mein Vater hob mich hoch, was er sonst nie tut, und ich klammerte mich an ihn wie ein Orang-Utan-Baby, was ich sonst auch nie tun würde, denn ich bin ja schon elf.
Dann gingen wir zum Telefon, er sagte „ja“ und „aha“, dann legte er auf.
Nicht Carl war gestorben, sondern Otto. Mona hatte sich vor Aufregung verplappert. Sie hat Angst, dass ihr Bruder Carl an den Drogen stirbt. Er wurde nämlich schon mal in die Notaufnahme eingeliefert. Das weiß ich, weil meine Mutter an dem Tag zufällig Nachtdienst hatte. Mona kennt natürlich auch die Geschichte mit Phillipp und hat ein paar Mal nachgefragt.
Ich habe versucht ihr zu erzählen, wie das war, als Phillipp plötzlich gestorben ist. Aber ich konnte nicht und habe nach ein paar Sätzen so laut herumgeschrien, dass mich nicht einmal Mona beruhigen konnte und schließlich ihre Mutter hereinschoss und dann meine Eltern anrief, damit sie mich abholten.
Deshalb reden wir nicht mehr so oft über meinen toten Bruder. Aber ich weiß, dass Mona viel daran denkt. Im Sommer ist sie mit mir an Phillipps Todestag in den Tierpark gegangen. Sie wusste, dass es mich zum Elefantengehege zieht und hat mich dort ganz fest gedrückt und ich habe heimlich an ihrer Schulter geheult. Es hat aber niemand gemerkt, nicht mal Mona.
Die Elefanten haben zwei Junge, eines ist noch ganz klein und hat noch ganz viele wirre Haare auf dem Kopf. Wir sind fast eine Stunde bei den Elefanten geblieben, dann mussten wir wieder los.
Als ich mich beruhigt hatte, riefen meine Eltern mit mir zusammen noch mal bei Mona an. Sie sagte, dass sie zuerst dachte, dass Otto tot sei. Er rührte sich nicht und hatte sich blutrot eingefärbt. Ich sagte, wahrscheinlich hat er sich den Arsch abgefroren und ist stinksauer. Da mussten wir alle lachen. Monas Eltern haben uns an diesem Tag zum Frühstück eingeladen.
Das Chamäleon saß schon wieder auf dem Balkon in der Sonne, aber es würdigte uns keines Blickes, als wir nach ihm sahen. Stattdessen drehte es seine Augen wie wild im Kreis und wechselte die Farben wie ein Blinklicht. So drücken Chamäleons ihre Verachtung aus. Vielleicht ist Otto aber auch therapiewürdig.
9
Jetzt standen wir also vor dem Haus des spanischen Bombenbauers. Ich spürte, dass es mit mir zu Ende ging, weil meine Beine anfingen, sich in Granit zu verwandeln. Die Versteinerung kroch ziemlich schnell meine Beine hoch und wenn sie mein Herz erreichte, dann würde ich in eine Million kleine Kristalle zerspringen. Aber dann schlug vor Aufregung plötzlich mein Herz hinter meinem Ohr so stark, dass ich meinte, es fängt gleich zu flattern an. Wenn ich mit beiden Ohren so schnell flattern könnte wie mit Kolibriflügeln, dann würde meine Mutter sagen:
„Hör sofort auf mit dem Unsinn“. Aber das wäre mir egal und ich würde davonfliegen und müsste nicht in die Höhle des Löwen gehen.
„Ja bitte“, fragte Serrano, als mein Vater klingelte, als wüsste er nicht, dass wir kommen. Meine Eltern nahmen mich in die Mitte und eskortierten mich zum Fahrstuhl. Sie waren Schläfer und würden mir jetzt einschärfen, dass Serrano ihr Komplize ist und dass ich unter keinen Umständen mehr ihren Freund bei der Polizei anschwärzen darf. Vielleicht wünschen sie sich sogar, dass ich bei Serrano in die
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