Die Elefanten meines Bruders (German Edition)
mir ist, als wir aussteigen. Sie kennt mich ja nun schon lange genug. Und so sehr es sie nervt, wenn ich 20 mal die Säule vor der Tiefgarage umkreise, bevor ich einsteige, so sehr weiß sie auch, dass es richtig kritisch wird, wenn ich solche Sachen nicht mehr tue. Wenn mein Fusionsreaktor in den roten Bereich kommt, falle ich in eine Art Starre.
Es ist so wie bei Otto. Otto fällt auch manchmal in eine Starre und bewegt sich nicht mehr oder nur manchmal. Vielleicht muss ich dazu sagen, dass Otto Monas Chamäleon ist. Eigentlich gehört es Carl. Er hat es vor drei Jahren zu Weihnachten bekommen und war anfangs völlig begeistert. Seine Mutter hat es gekauft, damit er etwas hat, worum er sich kümmern kann. Aber dann ist Carl drogenabhängig geworden und hat aufgehört, sich um Otto zu kümmern. Deshalb hat Mona jetzt Otto an der Backe. Aber so sieht sie es gar nicht, denn Mona hat Otto ziemlich gerne. Im Sommer stellt sie seinen Käfig immer auf den Balkon, damit er viel frische Luft bekommt. Und wenn die Eltern aus dem Haus sind, dann darf Otto sogar frei auf dem Balkon herumlaufen. Sie haben ein ziemlich breites hölzernes Balkongeländer mit einem Fliegengitter davor, damit die Tauben nicht alles vollscheißen. Und auf dieses breite Holzgeländer setzt sich dann Otto und streckt seinen Kopf in die Sonne und fängt Fliegen. Ackckackckackckackckackackackackack. Ja, viele halten Chamäleons, oder überhaupt Reptilien für total blöde. Ich auch. Ich hätte lieber einen Hund. Am liebsten einen Husky. Huskys haben oft ein grünes und ein blaues Auge. Das finde ich irre und deshalb habe ich Huskys fast so gerne wie Phillipp Huskys mochte. Mit meinem Hund würde ich in den Park gehen und Stöckchen werfen und wenn mein Hund das Stöckchen zurückbringt, dann bekäme er ein Stück Hundekuchen. Keine Schokolade, denn das ist schlecht für die Hundezähne.
So was kann man mit Otto natürlich nicht machen. Otto würde keine Stöckchen im Park zurückbringen. Er würde höchstens davon kriechen und ganz schnell auf einen Baum steigen und sich dann am höchsten Punkt in die Sonne setzen. So ist er eben. Dafür kann er nichts. Meine Mutter sagt immer, wenn jemand für etwas nichts kann, dann kann man ihm das auch nicht vorwerfen. Deshalb kann man Otto also nicht vorwerfen, dass er keine Stöckchen bringt. Dafür käme mein Husky nicht im Traum auf die Idee, seine Zunge einen halben Meter weit rauszuschnellen, um eine Fliege zu fangen. Wahrscheinlich können das Huskys gar nicht, selbst wenn sie wollten.
Das Irrste an Otto ist aber, dass er seine Farbe wechseln kann. Rot nach Orange nach Blau. Mona sagt, er wechselt seine Farbe, wenn er sich aufregt. Wahrscheinlich kann sich Otto sogar unsichtbar machen, wenn ihm etwas völlig gegen den Strich geht. Das haben wir aber noch nie mitbekommen, weil sich Mona vorbildlich um Otto kümmert. Hätten sie ihn bei Carl gelassen, dann wäre Otto jetzt bestimmt unsichtbar.
Aber einmal war sogar Mona Otto gegenüber carlish. Das Wort „carlish“ gibt es gar nicht. Das haben sich Mona und ich ausgedacht. Es bedeutet soviel wie, dass einem alles scheißegal ist und man apathisch in der Ecke hängt. Ich bin eigentlich nie carlish, Mona auch nicht. Aber wenn einer von uns Mist baut oder ich schlecht gelaunt bin und immer nur herumnöle und alle Vorschläge von Mona, was wir tun könnten, ablehne, dann sagt sie: „Sei nicht immer so carlish“.
Sie hat nämlich Otto einmal im Sommer auf dem Balkon vergessen. Und zwar an einem Tag im Frühsommer, wo dann die Temperatur nachts doch noch mal völlig in den Keller gekracht ist. Wir haben das gar nicht mitbekommen, weil wir zwei Miss-Marple-Videos hintereinander angesehen haben und dann ging alles drunter und drüber, weil überraschend meine Mutter kam, um mich abzuholen. Ich bin aber ganz früh aufgewacht, weil ich so fror und da fiel mir plötzlich ein, dass Otto noch bei Mona auf dem Balkon hockte.
Ich konnte mich plötzlich so schnell bewegen wie Paul Atreides in Der Wüstenplanet und bin mit beinahe Lichtgeschwindigkeit zum Telefon geschossen. Es war schweinekalt, aber erst fünf Uhr morgens, deshalb musste ich es auch ungefähr 400-mal klingeln lassen, bevor Monas Vater ans Telefon kam.
Normalerweise würde mich Monas Vater um fünf Uhr morgens total zur Schnecke machen, aber bevor er anfangen konnte herumzunölen, sagte ich einfach:
„Es geht um Leben und Tod. Wir haben Otto auf dem Balkon vergessen“.
„Wen habt Ihr
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