Die Elementare von Calderon
Wasser.
Durch die Löcher, die Aric mit seinem Messer gebohrt hatte, fielen Tropfen. Das Wasser platschte auf den Boden, zuerst wenig, aber während es heftiger zu schneien begann, wurde es zu einem steten Tröpfeln.
Wasser.
Plötzlich klopfte Isanas Herz vor Aufregung und Hoffnung. Sie beugte sich vor, über den Ring aus Glut, und fing das erste Rinnsal
mit einem der leeren Becher auf. Er füllte sich innerhalb einer Minute, und Isana trank ihn sofort leer. Das Wasser durchströmte sie und erfüllte sie mit beinahe animalischer Befriedigung. Wieder ließ sie den Becher volllaufen und trank, und nochmals, und dann flößte sie Odiana etwas ein.
Die Frau mit dem Züchtigungsring regte sich nach dem ersten Becher und wurde nach dem zweiten ein wenig lebendiger. Schließlich konnte sie flüstern: »Was ist denn passiert?«
»Eine Chance«, erklärte Isana. »Wir haben eine Chance bekommen.«
Isana füllte die Becher wieder, und das Rinnsal wurde immer stärker. Sie leckte sich die Lippen, blickte sich im Glutkreis um und suchte. Da, wo Aric die Kohle besonders nachlässig aufgeschüttet hatte, gab es eine Stelle, an der das Feuer nicht so heiß brannte.
Aufgeregt goss Isana das Wasser über die Glut. Es zischte und spritzte. Rasch machte sie die Becher wieder voll und schüttete sie über die Stelle. Und ein drittes Mal. Ein viertes.
Mit einem letzten Zischen erloschen die Kohlen.
Zitternd holte sich Isana den nächsten Becher Wasser und langte hindurch zu ihrem Elementar Bächlein.
Der Becher zitterte, und sofort spürte Isana Bächleins Gegenwart, der sich wild und heftig darin regte. Isana traten die Tränen in die Augen, und im nächsten Moment drängte Bächlein sie wieder zurück. Sie fühlte die Zuneigung ihres Elementars und seine Erleichterung, nachdem er wieder bei ihr sein konnte.
Isana schaute zu Odiana, die inzwischen Wasser mit den Händen auffing und trank. Sie lächelte abwesend und verträumt. »Sie reden über uns«, murmelte Odiana. »So viele Becher. Sie wollen mich missbrauchen, bis die Hitze mich getötet hat. Dann bist du an der Reihe, Isana. Ich glaube -« Sie unterbrach sich plötzlich, drückte den Rücken durch, schüttelte den Kopf und hielt sich die Hände an die Ohren. »Seine Stimme. Nein, ich will ihn nicht mehr hören. Will ihn nicht hören .«
Isana ging zu ihr und packte sie an den Handgelenken. »Odiana«, zischte sie. »Wir müssen hier verschwinden.«
Die Frau mit den dunklen Augen starrte Isana an. »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe.«
»Der Ring?«
Sie nickte. »Es fällt mir schwer, mir Dinge vorzustellen, die ihm nicht gefallen würden. Weiß nicht, ob ich es schaffe. Und wenn er zu mir spricht -«
Isana schluckte. Sanft zog sie Odianas Hände von den Ohren und legte ihre eigenen an den Kopf der Wasserhexe. »Das wird er nicht«, sagte sie leise. »Lass mich mal.«
Odiana erbleichte, nickte jedoch.
Isana rief Bächlein und schickte den Elementar durch ihre Hände in Odianas Körper. Bächlein zögerte und wollte nicht weiter. Isana musste ihn drängen, damit ihre eigenen Sinne ihm in die andere Frau folgen konnten.
Odianas Gefühle hätten sie beinahe überwältigt.
Anspannung. Entsetzliche Angst. Wut, rasender Zorn - und alles eingefangen in einer nachdrücklichen Lust, einem trägen Rhythmus, der vom Ring ausstrahlte und drohte, jeden Augenblick unaussprechlichen Schmerz auszulösen. Es war, als stünde sie im Herzen eines Sturms, die Emotionen drehten sich um sie, wirbelten vorbei. Sie fand nichts Stetes, nichts, woran sie sich hätte orientieren können. Schaudernd begriff Isana, dass Bächlein ihr nur vorsichtig Zugang zu den Gefühlen der Wasserhexe gewährt hatte, zu dem tosenden Orkan in ihrer Seele. Bächlein wollte sie schützen, denn nur allzu leicht konnte dieser Sturm auf ihre eigenen Gedanken und ihr eigenes Herz überspringen.
Daher schob Isana dieses Tosen der Seele von sich fort und richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihre eigentliche Absicht. Durch den Elementar suchte sie die Ohren der anderen Frau, die empfindlichen Trommelfelle. Mit einem gewaltigen Kraftakt veränderte sie den Druck in Odianas Körper und in den Ohren. Wie
aus weiter Ferne nahm Isana ein Keuchen von Odiana wahr - und dann platzten die Trommelfelle. Wieder schossen Schmerz und andere Gefühle durch Isana - vor allem Übermut, Abscheu und Ungeduld.
Isana zog sich so schnell wie möglich aus der Wasserwirkerin zurück, riss die Hände los und wandte sich
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