Die Elementare von Calderon
Soldaten die Klinge aus der Scheide an der Hüfte zog. Ehe der überraschte Mann reagieren konnte, hatte er die Klinge an der Kehle, und Amara drückte gerade fest genug zu, dass sich die Spitze leicht in die Haut schob. Plötzlich verstummte der Raum, nur das Feuer knisterte weiter. »Ich bin Kursor des Ersten Fürsten und habe hier zu tun. Und für betrunkene Dummköpfe fehlt mir die Geduld. Nimm das Messer runter.«
Der Soldat keuchte und hob eine Hand. Mit der anderen legte er das Messer auf den Tisch. Amara spürte die Blicke der Männer wie die Spitzen eines Dutzends Speere. Vor Angst schnürte sich ihr die Kehle zu, doch durfte sie sich das nicht anmerken lassen. Also zog sie eine Miene, kalt, ruhig und gnadenlos wie das eisige Meer.
»Danke schön«, sagte sie. »Also. Wo ist Pirellus?«
Hinter ihr ging eine Tür auf, und eine träge Stimme sagte in der Tonart, wie man sie in Parcia hörte: »Er nimmt gerade ein Bad. Aber einer Dame steht er immer gern zu Diensten.«
Amara nahm dem Soldaten das Schwert von der Kehle, warf ihm noch einen verächtlichen Blick zu und wandte sich dem Sprecher zu.
Der Mann war überdurchschnittlich groß und hatte dunkelgoldene Haut wie sie selbst. Sein schwarzes Haar trug er entgegen den Regeln der Legion lang, und es fiel wirr und nass auf die Schultern. Er war schlank und muskulös, und in der Hand hielt er ein gekrümmtes Schwert, dessen Metall schwärzer war als Trauersamt. Belustigt sah er Amara entgegen.
Außerdem war er tropfnass und nackt wie ein Säugling.
Amara spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, doch beherrschte sie sich und verbarg ihre Verlegenheit. »Bist du Pirellus, der Kommandant der Ritter von Kaserna?«
»Ein parcianisches Mädchen«, meinte Pirellus und lächelte breit. »Wie lange habe ich mich schon nicht mehr mit einem Mädel aus Parcia vergnügt.« Er neigte den Kopf, wobei er sein Schwert weiterhin kampfbereit in den Händen hielt. »Ich bin Pirellus.«
Amara zog eine Augenbraue hoch und betrachtete ihn von oben bis unten. »Ich habe schon so viel von dir gehört.«
Pirellus lächelte selbstbewusst.
»Ich dachte« - sie hüstelte und ließ den Blick auf seiner Körpermitte ruhen - »du hättest mehr zu bieten.«
Das Lächeln verschwand. Und damit, so hoffte Amara, auch der größte Teil seiner Überheblichkeit.
»Zieh dich an, Kommandant«, sagte Amara. »Kaserna wird in Kürze angegriffen. Du musst deine Männer zu den Waffen rufen und eine Ansprache an die Legion halten, die sich im Augenblick draußen versammelt.«
»Angegriffen?«, knurrte Pirellus. »Und von wem, wenn ich fragen darf?«
»Von Marat. Wir glauben, sie werden von einer Kompanie Ritter unterstützt. Möglicherweise von mehr.«
»Ich verstehe«, antwortete er unbekümmert. »Also, irgendwo habe ich dich doch schon einmal gesehen. Ich versuche gerade, mich daran zu erinnern, wo.«
»In der Hauptstadt«, erklärte Amara. »Ich habe vor zwei Jahren einige deiner Spiele besucht, und außerdem hast du mich und andere an der Akademie unterrichtet.«
»Richtig«, sagte Pirellus und lächelte. »Aber damals hast du dich noch wie eine Frau gekleidet. Ich erinnere mich, du bist die kleine Windwirkerin, die bei dem Brand im Osten der Stadt die Kinder gerettet hat. Das war sehr tapfer von dir.«
»Danke«, erwiderte Amara.
»Dumm, aber tapfer. Was machst du jetzt hier, Schülerin?«
»Inzwischen bin ich Kursor, Pirellus. Ich bin hier, um dich vor einem Überfall der Marat zu warnen.«
»Wie überaus zuvorkommend von dir. Und aus welchem Grund wendest du dich an mich und nicht an den Kommandanten von Kaserna?«
»Weil du der ranghöchste Offizier bist. Der Graf ist bewusstlos, Pluvus ist ein Dummkopf, und der Kommandant der Wache ist ein Zenturio, der nicht über die Befehlsgewalt verfügt, um die allgemeine Kampfbereitschaft anzuordnen. Das wirst du tun, und außerdem wirst du Boten zu Riva schicken, um Verstärkung anzufordern.«
Pirellus hob die Augenbrauen. »Und auf wessen Anweisung?«
»Auf meine«, sagte Amara. »Gräfin Amara ex Cursori Patronus Gaius von Alera.«
Der Kommandant der Ritter starrte sie böse an. »Da hast du dir einen hübschen Titel ausgedacht, und nun denkst du, du kannst überall herumlaufen und Befehle erteilen?«
Amara legte ihr glänzendes Schwert auf den Tisch, der neben ihr stand. Dann ging sie auf Pirellus zu, den Blick unverwandt auf ihn gerichtet, und blieb erst stehen, als zwischen ihnen nur noch eine Armlänge Platz war.
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