Die Elementare von Calderon
Horizont, so weit das Auge reichte. Zwanzigtausend. Dreißig. Fünfzigtausend. Eine so große Zahl konnte sie nicht genauer schätzen. Langsam schob sich die Horde näher an Kaserna heran. Es waren genug, um die Verteidiger der kleinen Festung einfach zu erdrücken. Genug, um das ganze Calderon-Tal zu überschwemmen. Genug, um über das ahnungslose Land hinter dem Tal herzufallen und tausende von aleranischen Dörfern und Städten zu zerstören, die nicht auf eine Verteidigung vorbereitet waren.
Sie sah Bernard an, löste sich von ihm und trat an die Brustwehr.
»Du solltest lieber Pirellus holen«, sagte sie. »Sag ihm, es ist so weit.«
38
Zwar war ihnen nicht kalt, aber Isanas Füße befanden sich in einem entsetzlichen Zustand, nachdem sie Odiana durch das Dickicht des Waldes bis zu dem Dammweg gezerrt hatte, der sich durch das ganze Calderon-Tal zog. Dann hatte sie den Hufschlag galoppierender Pferde gehört, und in der spätnächtlichen Dunkelheit hatte sie kaum ihren keuchenden Atem unterdrücken können.
Sie packte Odiana am Handgelenk und zog sie an den Rand des Dammwegs, doch es war schon zu spät. Die Reiter, die über den elementarbehauenen Stein preschten, hatten sie bereits erreicht und konnten gerade noch die großen Pferde zum Halt bringen.
»Herrin Isana?«, keuchte ein erschrockener junger Mann aus der Dunkelheit. »Was machst du hier?«
Isana blinzelte den Reiter verblüfft an. »Frederic?«
»Ja, Herrin«, antwortete der junge Mann. Er sprach leise mit dem Pferd, glitt aus dem Sattel und behielt die Zügel in der Hand. »Bei den Elementaren, Herrin, wir haben nicht geglaubt, dich lebend wiederzusehen. Geht es dir gut?«
Auch der andere Reiter stieg ab, und nun erkannte Isana den Wehrhöfer Roth an dem weißen Haarkranz um den Kopf. Er trat zu ihr und umarmte sie. »Dem Himmel sei Dank, Isana. Wir haben schon das Schlimmste befürchtet.«
Sie lehnte sich an den alten Wehrhöfer, denn plötzlich übermannte sie die Erschöpfung in Armen und Beinen, und sie musste Bächlein um Hilfe bitten, damit er die Tränen aus ihren Augen vertrieb. »Mir geht es so weit gut. Es war knapp, aber mir ist nichts passiert.«
»Wer ist das?«, fragte Roth und schaute zu Odiana, die teilnahmslos neben der Straße kauerte und ins Leere starrte.
»Das ist eine lange Geschichte. Ich kümmere mich um sie. Aber was macht ihr hier draußen?«
»Wir reiten voraus«, sagte Roth und wies die Straße zurück.
Vom Dammweg her hörte man weiteren Hufschlag und das Ächzen von Karrenrädern. Isana sah weitere Pferde, manche vor Bauernkarren gespannt, andere mit Reitern. Der Zug hielt auf sie zu. Frederic pfiff scharf und winkte mit den Armen, woraufhin die Karren langsam zum Stehen kamen.
»Aber warum?«, wollte Isana wissen.
Roth wirkte sehr müde. »Isana, die Marat sind gestern ins Tal eingedrungen. Irgendwann im Laufe der Nacht. Sie haben Aldohof überfallen und niedergebrannt. Soweit wir wissen, hat es niemand überlebt.«
Isana schnappte erschrocken nach Luft. Ihr wurde schwindelig. »Niemand?«
Roth nickte. »Wir haben die Feuer in der Dämmerung gesehen, und Warner und seine Jungen sind hingeritten, um sich die Sache anzuschauen. Er hat sie nach Kaserna und nach Riva geschickt. Die zwei, die nach Kaserna unterwegs waren, wurden ermordet. Wir haben sie keine zwei Meilen von hier entfernt an der Straße gefunden. Was mit den anderen passiert ist, wissen wir nicht.«
»Oh nein«, entfuhr es Isana. »Gute Elementare, der arme Warner.«
»Und heute Nacht war Frederic draußen auf dem Feld und hat gearbeitet.«
Frederic nickte. »Wegen dieser großen Felsen. Vor dem Sturm hatte ich es nicht mehr geschafft, und ich konnte nicht schlafen, daher habe ich mich heute Nacht darum gekümmert, Herrin Isana. Und diese beiden Männer sind einfach aus dem Himmel gefallen.«
»Aus dem Himmel? Ritter Aeris?«
»Ja, Herrin. Der eine war ganz in Schwarz gekleidet, der andere trug die Farben von Riva, Herrin, und er war verletzt, deshalb habe ich dem anderen einen mit der Schaufel auf den Kopf verpasst.« Er klang ein wenig unsicher, als wisse er nicht recht, ob er richtig gehandelt hatte. »Das war doch nicht falsch, oder?«
»Natürlich nicht, Junge«, schnaubte Roth. »Es handelte sich um einen Boten von Kaserna, Isana, der zu Riva geschickt worden war, um Verstärkung anzufordern. Er sagte, eine Horde Marat sei im Anmarsch. Die hatten ihm einen Söldner auf den Hals gehetzt, der ihn vom Himmel holen sollte, und er
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