Die Elenden von Lódz
hereingeschlichen, als ich schlief, oder die Gelegenheit genutzt, als ich ihnen den Rücken zudrehte?
Ältester:
Ich werde mich unmittelbar darum kümmern, dieses Malheur auszuräumen.
Biebow:
Sie müssen noch mehr tun als das, Rumkowski! Hiermit weise ich Sie an, umgehend eine neue Volkszählung durchzuführen.
Gezählt wird Kopf für Kopf!
Und jeder einzelne Jude ist mit Adresse und Ressort deutlich auszuweisen. Von nun an hat keine Adresse Gültigkeit, die nicht zugleich Wohnadresse und jene Adresse ist, unter der der betreffende Jude gemeldet ist.
Haben Sie verstanden? Das gilt auch für Ihren einfältigen Kopf, Rumkowski! Obendrein sind neue Arbeitskarten auszustellen. Jede dieser Karten ist neben Namen, Geburtsdatum, Wohnadresse und
Ressort
des Inhabers auch mit einem Foto auszustatten, dessen Echtheit von Jakubowitsch im Zentralen Arbeitsbüro zu bestätigen ist. Diese Ausweispapiere sind jedes einzelne Mal vorzuweisen, wenn Talonwaren ausgehändigt werden, und auch jedes Mal, wenn eine Haussuchung stattfindet. –
Ist das verstanden worden?
Die erste Haussuchung fand mit unmittelbarer Wirkung statt. Durch das offene Schlafzimmerfenster sah Prinzessin Helena dieselben Polizisten, die soeben den armen Tausendgeld weggeschleppt hatten, unten im Garten neben ihren Vogelkäfigen stehen. Dass sie Herrn Tausendgeld mitgenommen hatten, konnte sie möglicherweise ertragen, aber was hatten sie mit ihren geliebten Vögeln zu schaffen? Sie stieß das Fenster weit auf, beugte sich in das lebensgefährliche weiße Licht hinaus und rief:
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Lasst meine Hänflinge in Ruhe!
Nehmt, was ihr wollt, aber lasst meine Hänflinge in Ruhe!
Jahr für Jahr war es dasselbe Problem mit Prinzessin Helenas Leber:
Der Sommer begann mit Erschöpfung, Übelkeit und einem Kopfweh, das es ihr morgens kaum möglich machte, die Augen zu öffnen. Doktor Garfinkel meinte bei der Palpation ihres Leibes wie schon im Jahr zuvor eine gewisse Schwellung der Leber festzustellen und ordnete daher eine strikte Diät an, bestehend aus weißem Fleisch in bekömmlicher Bouillon, und vor allem Ruhe in absoluter Dunkelheit, da Gelbsuchtpatienten ernsthafte Augenschäden riskierten, wenn sie sich direktem Sonnenlicht aussetzten.
Deshalb stand Prinzessin Helena mitten im Zimmer, die Hand vor den Augen, als die Kripo hereinkam und anfing, alles auf ihrem Weg umzustoßen. Korbkäfige mit erschrocken flatternden Vögeln; Kästen und Truhen mit Schuhen und Kleidern; ihren Sekretär mit allen Briefen und Einladungs- und Danksagungskarten. Auch der federbuschgeschmückte Hut, den sie beim Herrlichen Büfett getragen hatte, das schließlich auch Männer wie Biebow und Fuchs mit ihrem Besuch beehrt hatten, wurde von der Hutablage gezerrt und von hohen Stiefelabsätzen in den Schmutz getreten. Prinzessin Helena schrie aus vollem Hals und versuchte sich hinter den Gardinen zu verstecken. Als das nicht gelang, nahm sie wieder Deckung im Bett, während Kommissar Schnellman ihr den Hörer reichte und von Frau Helena Rumkowska verlangte, ihren Schwager anzurufen. Als sie sich weigerte und mit den Armen fuchtelnd nur immer weiterschrie, rief Kommissar Schnellman selbst an und benutzte die Gelegenheit, um auch seinen Vorgesetzten Bericht zu erstatten:
Wir haben noch ein paar Hühner gefunden
– während er mit einer irritierten Handbewegung ein paar Stare fortscheuchte, die, aus ihren Käfigen befreit, verwirrt zwischen Bett und den wedelnden Gardinen flatterten.
Unter normalen Umständen wäre es jetzt höchste Zeit für Herrn Tausendgeld gewesen, zu Verhandlungen herbeizueilen. Vielleicht hätte er dem diensteifrigen Kommissar einen kleinen Obolus zugesteckt. |434| Vielleicht hätte er gesagt, sie könnten diese Verlegenheiten doch zu beiderseitiger Zufriedenheit lösen. Doch nun hing Herr Tausendgeld im Keller des Roten Hauses am Haken, musste auf Fragen zu seinen »geheimen« Verbindungen mit der Getto-Sonderabteilung antworten, und irgendein größerer Spielraum für Kompromisse wurde leider nicht gewährt. Als der Älteste letzten Endes verstand, dass es diesmal keinen Ausweg gab, erteilte er die Anweisung, dass man einen Wagen in die Karola Miarki schickte, um Prinzessin Helena aus ihrer Belagerung zu befreien.
Nun war es aber so, dass gerade an diesem Tag in Marysin sehr viele Wagen bestellt worden waren; eine große Anzahl von Leuten wünschte sich plötzlich vom »Land« in die »Stadt« zu begeben. Der Älteste verfügte nur über seine
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