Die Elenden von Lódz
noch immer jungenhaft schmalen Körper des Polizisten hinab. Zugleich sah er sich selbst dicht neben ihm stehen und auf die Bestrafung warten, die nun bemessen werden sollte. Und die Gewächshauswand hinter ihm war eine Mauer, und die Mauer (so dachte er) wird ständig da sein, und sie wird überall dieselbe sein, und egal, was auch geschieht, so wird die Obrigkeit stets mit etwas drohen können. Mit Deportation, mit Misshandlung, mit glühendem Eisen im Gesicht.
Doch zugleich gab es da einen anderen Gedanke in ihm, der im selben Augenblick geweckt worden war, als er den Konvoi vor der Gärtnerei parken und Werner Samstag herausgeputzt neben dem vorderen Wagen stehen sah, wie ein Chauffeur in altmodischer Livree.
|518| Welcher
resort-lajter
(so dachte er) würde sich darauf einlassen, Uniformen für eine jüdische Spezialeinheit zu nähen, die vielleicht nicht einmal mehr existierte, wenn die Uniformen schließlich fertig waren? Und weshalb sollten sich die Behörden überhaupt um Uniformen kümmern, wenn es nicht einmal mehr ein Volk zum Überwachen gab?
Sie haben Angst.
(Das dachte er. Nichts anderes als dieses Einfache:)
Irgendetwas geschieht, doch was, das wissen sie nicht – nur dass all die Macht, die sie einmal hatten, ihnen langsam aus den Händen gleitet. Und als Adam nun die Gewissheit ihrer Angst im Rücken spürte, sagte er sich, jetzt gebe ich ihnen nichts mehr. Sie können mich kurz und klein schlagen, doch von jetzt an gebe ich ihnen nichts mehr.
Samstag stand vor ihm, den erhitzten Feuerhaken erhoben.
Da trat Józef Feldman aus seinem erdig stinkenden Kohlendunkel und legte Samstag die Hand auf die Schulter:
Es lohnt sich nicht, Werner, er hat nichts …
Die Blicke Samstags und Feldmans begegneten sich, ohne aneinander haften zu bleiben, dennoch aber lange genug, um die Glut am Feuerhaken in Samstags Hand verblassen zu lassen. Dann wechselte die lächelnde Grimasse in Samstags Gesicht zu Überdruss und unsäglichem Widerwillen, und routiniert den Kopf zurückwerfend, befahl er seinen Leuten, Adam loszulassen.
Was darauf folgte, war eine Orgie planloser Zerstörungswut:
Samstags Männer rissen zunächst alle Glasbehälter aus den Fächern; gingen dann auf die Gewächshauswände los, schwangen ihre Schlagstöcke hoch über den Köpfen und zertrümmerten Scheibe um Scheibe. Anschließend nahmen sie sich Feldmans »Büro« vor, rissen Schränke und Herdborde herunter und zermalmten Teller und Schüsseln. Selbst die einsame Kochplatte, die Feldman installiert hatte, obgleich es kaum etwas zu kochen gab, rissen die Männer aus ihrer Wandhalterung und knallten sie auf den Boden.
Aus all dieser namenlosen Zerstörung trat Samstag wie in eine himmelblaue Wolke zersplitterten Lichts. In den Händen hielt er ein paar der Geldbündel, die Adam von Lajb erhalten hatte.
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Ist das dein Verrätergeld?
, fragte er – nicht klar, ob er ihn oder Feldman meinte –, doch wartete er keine Antwort ab, setzte sich auf den Rand von Adams Matratze und zählte die ergatterten Scheine durch. Als er mit dem Betrag zufrieden war, stopfte er die Bündel in die neuen Uniformtaschen und marschierte hinaus, gefolgt von seinen Leuten.
Es vergingen ein paar Minuten; dann hörte man draußen Fahrzeugmotoren starten, einen nach dem anderen; darauf verschwanden sie wieder, der ganze Konvoi in dichter Folge hinunter zur Zagajnikowa.
Adam und Feldman blieben inmitten der Zerstörung zurück. Glaskästen, von denen jeder zuvor eine eigene Welt enthalten hatte, lagen nun rundum in Scherben.
»Tut mir leid«, sagte Adam nur.
»Es ist nicht deine Schuld«, erwiderte Feldman.
Im Ofen brannte das Feuer noch immer mit demselben matten Schein. Adam holte Lajbs Schreibhefte aus der Matratze, in der er sie versteckt hatte, griff nach dem Feuerhaken, mit dem ihm Samstag gedroht hatte, riss Seite um Seite heraus und stieß sie mit der Hakenspitze durch die offene Ofentür ins Feuer.
Somit verbrannten sie alle: Marek mit dem Klumpfuß, Herr Gelibter, Pinkus Kleinman; und Jankiel natürlich. Adam schob die Ofentür wieder zu, sich nicht sicher, ob er sie damit gerettet oder nur einem noch schlimmeren Schicksal ausgesetzt hatte.
|520| Sie sah ihn aus dem flirrenden Streifen zwischen überschwemmtem Boden und blendend hellem Himmel wachsen – ein Lehmklumpen, der anschwoll und sich dehnte und zu einem Menschen aus Fleisch und Blut wurde, der sich langsam auf sie zubewegte.
Věra hatte Aleks beinahe zehn Monate nicht
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