Die Elfen 01 - Vor der Elfendämmerung
protokollarische Zeremoniell, das bei den Zwergen galt, war sehr viel komplizierter als bei den Elfen, den Menschen oder selbst den Gnomen, die doch so titelversessen waren. Es war nicht ganz einfach, alle Floskeln und Gepflogenheiten der freien Völker zu kennen sowie ihre Sprachen zu beherrschen, denn es gab Situationen im Palast, in denen es unschicklich gewesen wäre, sich der gemeinsamen Sprache zu bedienen, die von allen verstanden wurde, sogar von einem guten Teil der monströsen Rassen der Schwarzen Lande.
»Baldwin, Sohn des Twor, Sohn des Urs Blaubart, König und Sohn von Königen’«, rief der Herold. »Baldwin, Meister des Gesteins und der Metalle. Baldwin Langaxt, Langbart und teuerster Herrscher! Baldwin, Lehnsherr der Zwerge unter dem Roten Berg! Möge sein Bart immer dichter werden!«
Der alte Zwerg kam wie üblich unter großem Aufhebens hereingepoltert. In Anbetracht seiner altersbedingten Gebrechlichkeit verzichtete er darauf, vor Pellehun niederzuknien. Wenn man erst einmal dreihundert Jahre hinter sich hat, kann man sich einige Freiheiten gegenüber dem Protokoll erlauben ...
Eine Spitze des langen, gewichsten graumelierten Schnurrbartes hob sich ein wenig, was bedeuten konnte, dass er dem König der Menschen zugelächelt hatte, dann neigte er kurz den Kopf zum Gruß.
»Friede sei mit dir, Pellehun«, sagte er mit seiner rauhen, tiefen Stimme.
»Der Himmel möge dich beschützen, Meister der Steine. Setz dich zu meiner Rechten.«
Baldwin ging um den Bronzetisch herum, gefolgt von seinen Ratgebern und einem Zwerg, der kaum geschmückt und gar nicht bewaffnet war.
Die Recken, die hinter der Zwergengruppe standen, versuchten, das Antlitz dieses Zwerges zu studieren, aber sie kamen nach der Sitzung überein, dass sie diesen Bärtigen mit dem träumerischen Gesichtsausdruck (eine Seltenheit bei Zwergen) noch nie gesehen hatten. Endlich setzte Baldwin sich und drehte den Kopf ostentativ zu seinem Gefolge. Llandon zögerte einen Augenblick vor Verwirrung. Die Etikette verlangte, dass er als der Jüngere den König der Zwerge zuerst grüßte, aber dieser hatte ihn noch keines Blicks gewürdigt.
»Friede sei mit dir, König«, sagte er schließlich mit einem diplomatischen Lächeln. »Es ist lange her, dass wir uns gesehen haben ...«
Baldwin antwortete nicht und ein empörtes Gemurmel lief durch die Reihen der Elfen. Gorlois, der Herold, der bereits hinausging und die schwere Tür hinter sich schloss, sowie Pellehun runzelten zwangsläufig die Brauen angesichts des Benehmens, das der König unter dem Roten Berg an den Tag legte. Der verstörte Uther suchte den Blick Ulfins und bemerkte bei seinem älteren Kameraden dieselbe veränderte Haltung: Anspannung, Unruhe, Erwartung ...
»Der Herr Llandon heißt Euch willkommen!«, wiederholte Pellehun und legte die Hand auf den Arm des alten Zwergs.
»Hä?«, machte Baldwin und drehte sich endlich um. »Ach ja, die Elfen! Natürlich, die Elfen ... Entschuldigt... Ich hatte nicht gehört ... das Alter zweifellos ...«
Er neigte das Haupt und machte eine Geste in Richtung der Elfen, die sie einlud, sich zu setzen.
»Der Himmel schütze dich, Llandon ... Und auch dich, Königin der Elfen. Willkommen schließlich, König Rassul!«
Die Elfen warfen einander vielsagende Blicke zu und nahmen verstimmt ihre Plätze ein.
Gorlois vergrub sich in seinem Sessel und spielte geistesabwesend mit einem seiner mit roten Bändern durchflochtenen Zöpfe. Er musste ein Lächeln unterdrücken. Die Versammlung fing ja gut an ...
Pellehun erhob sich und setzte eine joviale Miene auf.
»Meine Freunde, wir haben uns hier auf die Bitte des Königs Baldwin versammelt, des Herrn der Zwerge unter dem Roten Berg. Hören wir also, was er uns zu sagen hat, und beratschlagen wir gemeinsam über unser Vorgehen’«
Auf der anderen Seite derTür lauschte der Herold derart gespannt, dass ihn das Auftauchen eines riesigen, in Pelz gehüllten und mit einem eindrucksvollen Schwert bewaffneten Kriegers mit struppigem Bart und blondem Haar am anderen Ende des Korridors überraschte.
»Wer bist du?«, schrie er und lief auf den Barbaren zu. »Wie hast du bis hierher kommen können?«
»Ich bin Frehir, Häuptling der freien Menschen von Seuil- des-Roches. Lass mich durch.«
Der Herold verstand nicht sogleich. Frehir sprach die gemeinsame Sprache mit dem schrecklichen Akzent der Menschen aus dem Norden. Er trat nicht zur Seite.
»Wie ist dein Name?«, fragte er noch
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