Die Elfen 01 - Vor der Elfendämmerung
verschüttet?
Langsam und vorsichtig wie ein Rekonvaleszent erhob er sich und sah, vornübergebeugt und die Hände auf die Schenkel gestützt, zu, wie die beiden Männer mit bloßen Händen gruben, um die Königin freizuschaufeln. Er hörte, wie Uther ununterbrochen zu ihr sprach, sah, wie er sie in die Arme schloss, aus ihrem Hügelgrab hob und wie ein Kind von diesem Meer aus Steinen und Geröll forttrug.
Mit zögernden Schritten ging Tsimmi bis zu dem Birkenhain, wo sie saßen und hockte sich ein wenig abseits hin. Seine Kehle war von einem unkontrollierbaren Gefühlstumult zugeschnürt. Uther tauchte ein Stück seines Mantels in eine Pfütze und wusch damit das wunde Gesicht der Königin der Hohen Elfen. Gegen einen der weißen Birkenstämme gelehnt, mit zerrissenen Kleidern und dem Haar voller Erde, aus Hunderten von Schnittwunden im Gesicht und am ganzen Körper blutend, ließ Lliane alles mit sich geschehen und sah dabei den Ritter unaufhörlich und so eindringlich an, dass Uthers Bewegungen immer fahriger wurden.
»Ich habe ... Ich habe solche Angst gehabt, meine Königin«, stotterte er schließlich. Lliane antwortete nicht, legte jedoch ihre Finger auf die Lippen des Ritters, fuhr deren Konturen nach und betastete dann, über den zwei Tage alten Bart kratzend, seine Wangen. Schließlich wanderten ihre Finger in seinen Nacken, schlangen sich um ihn und zogen ihn langsam zu sich heran, bis ihre Lippen sich berührten. Uther schlug die Augen nieder, wagte nicht zu atmen, verlor jegliches Zeitgefühl. Sie streichelte die Lippen des jungen Mannes mit der Zungenspitze, lächelte angesichts seiner Verblüffung (zu jener Zeit küssten die Menschen sich noch nicht auf diese Weise) und gab sich dann einem verhaltenen, langen, endlosen Kuss hin, aus dem sie beide wie Schlafwandler erwachten, entzückt, verlegen, ungläubig.
Selbst Frehir, der ein paar Meter entfernt stand, wagte kaum zu atmen, um den Bann nicht zu brechen, und als sie mit einem ausweichenden Lächeln voneinander ließen wie Jugendliche, trat der Barbar von einem Fuß auf den ändern, nickte angelegentlich und prustete vor Freude. Dann ging er zu Tsimmi, hievte ihn auf die Beine und versetzte ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter, der den Zwerg nun fast endgültig erschlug.
»Na! Was sagst du dazu?«
Tsimmi sagte gar nichts, er war zu aufgewühlt, um reden zu können. Seine Augen glänzten, und seine Kehle war noch immer zugeschnürt (ein seltener Gemütszustand bei einem Zwerg), Schließlich erblickte ihn die Königin und streckte lächelnd den Arm in seine Richtung aus.
»Wahnsinn und Tod haben uns alle um ein Haar hinweggerafft«, sagte sie. »Ich bitte Euch um Verzeihung, Meister Tsimmi.«
Der Meister der Steine bekam vor Verblüffung einen Schluckauf.
»Aber nein, ich muss doch ...! Ich muss Euch um Verzeihung bitten! Ich habe wirklich gedacht...«
Er vermochte seinen Satz nicht zu beenden. Die Erleichterung, die Müdigkeit, die Rührung und das Glücksgefühl überwältigten ihn. Und zum ersten Mal seit vielen Jahren weinte Tsimmi heiße Tränen.
Dort blieben sie, betäubt und glückselig, bis sich die Staubwolke vollständig aufgelöst hatte und ihre Erregung in der eisigen und feuchten Luft der Sümpfe abgeklungen war. Als die Kälte ihnen in die Glieder fuhr, standen sie alle zugleich auf und begannen aufs Neue, die zerstörte Lichtung auf der Suche nach den Resten ihres Gepäcks oder ihrer Waffen umzugraben.
Lliane fand den Bogen und die Pfeile Kevins und auch ihren Dolch Orcomhiela unversehrt und nicht einmal erdverkrustet wieder. Sie entdeckten den verbeulten Helm Miolnirs und die rote Toga, die Rogor zu Boden geschleudert hatte, aber keine Spur von den beiden Zwergen selbst. Die makaberste Entdeckung war Frehir Vorbehalten. Tills Hund lag mit gebrochenem Rückgrat und hängender Zunge leblos unter den Trümmern. Der Spurensucher selbst und sein Falke waren verschwunden.
Die vier Überlebenden machten sich wortlos reisefertig und vermieden, einander anzusehen, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen ...
»Wir müssen vor ihnen bei Gael sein«, sagte Uther und wandte sich dann der Königin zu: »Könnt Ihr uns führen?«
Lliane machte eine hilflose Geste.
»Ich kenne diese Gegend hier nicht, und ich weiß nicht einmal, in welche Richtung wir suchen sollen ... Aber ich bin überzeugt, dass die Grauen Elfen uns helfen werden, wenn wir welchen von ihnen begegnen.«
»Jedenfalls«, meldete sich Frehir
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