Die Elfen 04 - Die Elfenkönigin
mich.«
»Dein Fleisch wird wohl kaum ausreichen, um dein Volk durch die Hungermonde zu bringen«, entgegnete Emerelle ruhig. »Welchen Nutzen also hätte dein Tod?« Es war das erste Mal, seit sie ihm begegnet waren, dass Oblon sprachlos war. Er starrte sie an. Den Mund leicht geöffnet.
»Was siehst du in mir«, fragte sie herausfordernd und ging langsam auf den Kobold zu. »Einen Fleischvorrat für die Trockenzeit? Einen Geist, aus der Luft geboren? Deine Mörderin? Was bin ich?«
Oblon wich nicht vor ihr zurück. Falrach hatte Respekt vor dem Mut des Kleinen. In Albenmark gab es nur wenige, die sich vor dem Zorn Emerelles nicht duckten. »Es liegt bei mir, was du bist.« Jetzt vermochte Oblon Emerelle nicht mehr in die Augen zu sehen. »Wähle!«
VON TOREN UND HELDEN
Kadlin wurde in steilem Bogen in den Himmel gerissen. Sie schrie vor Entsetzen, während der sichere Boden unter ihren Füßen sich immer weiter entfernte. Langsam gelang es ihr, die Panik niederzukämpfen. Es war der Boden, den sie jeden Augenblick mit ihrem Blut durchtränkt hätte.
Ein riesiger Raubvogel hatte sie gepackt und trug sie davon. Und er war nicht gerade zimperlich mit ihr umgesprungen. Seine Krallen hatten sich durch ihre dick gefütterte Lederkleidung in ihre Schulter und Brust gebohrt. Nicht tief. Aber tief genug, um eine Weile eine unangenehme Erinnerung an diese Begegnung zu behalten. Sie dachte an das Rentier, das sie im Schnee gesehen hatten. Jetzt begriff sie, warum keine Fährte des Tiers in das Schneefeld geführt hatte. Würde sie genauso enden? Ein blutiger Kadaver auf einem Schneefeld?
Der Vogel schwenkte nach links und hielt auf einen Bergkamm zu. Zwischen den Felsen entdeckte sie Melvyn. Ihr Bruder wirkte durch den Anblick des Vogels nicht im Mindesten beunruhigt.
Kadlin landete unsanft im Schnee, als der Adler unvermittelt seine Krallen öffnete.
Melvyn war sofort an ihrer Seite. »Bist du verletzt?«
»Zählt auch verletzter Stolz?«
Er zwinkerte ihr zu. »Ein schwieriger Fall. Er heilt entweder schnell oder nie.« Sie sah hinab zu der Insel inmitten des gefrorenen Sees. Die Trolle waren nun mindestens eine Meile entfernt. Sie machten keine Anstalten, ihnen zu folgen. Noch nicht.
Der Adler drehte noch eine weitere Runde am Himmel, dann schwenkte er nach Osten ab. Langsam begann Kadlin zu begreifen. »Er war schon die ganze Zeit in unserer Nähe, nicht wahr?«
Melvyn bedachte sie mit seinem unverschämten Grinsen. »Es ist immer gut, noch eine Überraschung auf Lager zu haben.«
Kadlin war wütend. Er hätte ihr das sagen müssen! Immer wieder hatte sie in den letzten Tagen darüber gebrütet, wie das tote Rentier auf das Schneefeld gekommen war und welcher neue Schrecken wohl in die Berge ihrer Heimat gekommen sein mochte.
»Ich habe auch eine Überraschung für dich. Ich gehe wieder hinunter zu den Trollen!« Das Lächeln verschwand. »Das ist nicht dein Ernst. Die werden dich in Stücke schneiden und dich dann den Aasfressern überlassen, denn das Fleisch von Verrückten rühren sie nicht an.« »Gut zu wissen, dass mir wenigstens das erspart bleibt!«
Er packte sie. »Komm zur Vernunft! Denk an dein Kind! Du darfst …«
Sie war bei Vernunft. Behutsam legte sie die Rechte auf ihren Bauch. Das Kind verhielt sich völlig ruhig, als habe es sich zusammengerollt, um sich in ihr möglichst klein zu machen. Ihre Stimme war rau und belegt, als sie antwortete. »Ich bin bei Vernunft. Endlich wieder! Ich hätte nicht mit dir hierherkommen dürfen. Und nun tue ich, was meine erste Pflicht als Königin ist. Ich schütze mein Volk!« Melvyn ließ sie los. »Dann gehen wir zusammen.«
Sie schüttelte ärgerlich den Kopf. »Das ist dumm. Lass mich allein gehen!«
»Ich wäre ein verdammt übler großer Bruder, wenn ich tatenlos zusehen würde, wie sich meine kleine Schwester mit ein paar Kerlen herumschlägt, die fast doppelt so groß sind wie sie.«
»Du schuldest mir nichts. Wir kennen uns erst ein paar Tage!«
»Du kommst doch nicht einmal allein ins Tal hinab.« Sein Tonfall hatte sich geändert. Nie in den paar Tagen, die sie sich kannten, hatte er so ernst geklungen. »Wolkentaucher hat dir ganz schön zugesetzt. Dein Kopf ist eingeschlagen. Du bist schwanger. Und du siehst so aus, als würdest du gleich dein Frühstück in den Schnee spucken. Da werde ich dich doch nicht alleine gehen lassen. Außerdem wird Wolkentaucher mir helfen, wenn ich in Gefahr gerate. Dich hingegen wird er bestimmt nicht noch
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