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Die Elfen von New York

Die Elfen von New York

Titel: Die Elfen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Millar
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Gründe. Der erste war die Fernsehmeldung von den entsetzlichen Überschwemmungen in Bangladesh mit Bildern von Leichen, die Kerry schrecklich aufregten, der zweite war die schlimme Krankheit, unter der sie litt, der dritte ihr mangelndes Talent auf der Gitarre. Trotz stundenlangen Übens konnte sie immer noch nicht Johnny Thunders Gitarrensolo aus ›Pirate Love‹ spielen.
    Der vierte, in diesem Augenblick allerwichtigste, Grund war, daß sie sich einfach nicht entscheiden konnte, welche Blume sie sich ins Haar stecken sollte: eine Nelke oder eine Rose. Kerrys Haar war einem Gemälde von Botticelli nachempfunden, und die richtige Blume deshalb äußerst wichtig.
    Sie saß bedrückt vor dem Spiegel, probierte erst die eine, dann die andere aus, und dachte voll Bitterkeit, wieso sie sich das Haar schillernd blau gefärbt hatte, um nun an solchen Problemen zu scheitern.
    Mit dem Blumenalphabet ging es gut voran, und sie hatte jetzt fünfzehn von den dreiunddreißig Blumen zusammen, die sie brauchte.
    Auf der anderen Straßenseite wachten gerade die Feen auf.
    »Wo sind unsere Freunde?« murmelte Heather und strich sich das goldene Haar aus den schönen Augen.
    Dinnie starrte sie unheilverkündend an.
    »Ich weiß nicht, wer ihr seid«, sagte er. »Und es ist mir auch völlig egal. Schert euch zum Teufel und laßt mich in Ruhe.«
    Dinnie MacKintosh stand nicht in dem Ruf, besonders höflich zu sein. Im Grunde stand er in überhaupt keinem Ruf, außer dem, grob, intolerant und ständig hungrig zu sein.
    »Ich heiße Heather. Ich bin eine Distelfee. Und dies ist Morag. Könnte ich bitte ein Glas Wasser haben?«
    »Nein!« donnerte Dinnie. »Kannst du nicht. Raus hier!«
    »Was ist denn das für eine Art, mit uns zu reden?« wollte Heather wissen und stützte sich auf ihren winzigen Ellbogen. »Dort, wo wir herkommen, würde sich jeder geehrt fühlen, wenn wir ihn um ein Glas Wasser bitten. Dort reden die Menschen noch jahrelang darüber, wenn sie uns nur einen Augenblick zu Gesicht bekommen haben. Und daß wir dich mit unserer Gegenwart beehren, hast du allein der Tatsache zu verdanken, daß wir dich eine schottische Geigenmelodie spielen hörten.«
    »Und zwar sehr schlecht«, fiel Morag ein, die gerade zu sich kam.
    »Ja«, stimmte Heather zu, »extrem schlecht. Die Geige hatte einen interessanten Klang, aber offen gesagt, war es die schlechteste Wiedergabe von ›Reel of Tulloch‹, die ich je gehört habe, und das will was heißen. Du spielst noch schlechter als der Sohn vom Schmied in unserem Dorf in Cruickshank, und ich hätte nicht geglaubt, daß sowas möglich ist.«
    »So schlecht spiele ich gar nicht«, protestierte Dinnie.
    »O doch. Ganz schrecklich.«
    »Naja, keiner hat euch eingeladen, mir zuzuhören«, sagte Dinnie wütend.
    »Aber keine Sorge«, fuhr Morag fort und strich über ihre winzige Fiedel. »Wir bringen dir bei, die Melodie richtig zu spielen. Wir sind gute Feen und helfen immer gern. Und jetzt sei so nett und bring uns ein Glas Wasser.«
    »Hi«, schnurrte eine nackte Frau auf dem Fernsehbildschirm. »Wir sind das Cream Team. Mit Arsch, Mund und Muschi besorgen wir dir’s so gut, daß es ein verficktes Verbrechen ist. Du erreichst uns unter 970 M-Ö-S-E.«
    »Ich glaube, ich halluziniere immer noch«, sagte Morag. »Ich werde nie wieder einen Fliegenpilz anrühren, das schwöre ich. Außer vielleicht für medizinische Zwecke.«
    Dinnie stapfte zum Bett und forderte Heather und Morag lautstark auf, augenblicklich zu verschwinden, da er nicht an Feen glaube. Die Feen brachen in Gelächter aus.
    »Du bist vielleicht komisch«, kicherte Heather. Aber das Lachen erweckte ihren gewaltigen Kater zu neuem Leben, und sie mußte wieder brechen, diesmal direkt auf Dinnies Arm.
    »So – jetzt bleibt ihm wohl nichts anderes übrig, als an uns zu glauben«, schimpfte Morag.
    »Keine Sorge«, sagte Heather. »Für Menschen hat Feenkotze einen köstlichen Duft.«
    Beide schliefen wieder ein, und Dinnies laute Schimpfkanonaden konnten sie nicht wecken.

3
     
    Überall in New York wimmelte es von Obdachlosen. Jede Straßenecke hatte ihren eigenen Bettler, der die Passanten mit stumpfen Augen und wenig Hoffnung um Geld bat. Alle Parks waren mit provisorischen Plastikzelten und stinkenden, zu Schlafsäcken zusammengerollten Wolldecken übersät. Diese Obdachlosen führten das hoffnungsloseste Leben. Kein Regierungsprogramm würde ihnen je zu einem neuen Start verhelfen. Kein Sozialamt hatte je genug Geld, um

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