Die Elfen
Rampe erreichte und der Boden unter seinen Füßen nicht länger durchsichtig war. Er lehnte sich gegen die Wand und blickte zu der Kuppeldecke, die sich über ihren Häuptern spannte. Sie zeigte einen schwarzen Kreis mit zwei goldenen Schlangenlinien. Doch diesmal fühlte Mandred keinen Triumph.
Schweigend ging er mit den beiden Elfen die Rampe hinab. Der Weg war beängstigend schmal. Mandred hielt sich dicht an der Wand. Hier gab es nicht mal ein Geländer! Kannte denn keines der Albenkinder die Angst vor dem Blick in die Tiefe? Den verstörenden Wunsch, sich einfach in den Abgrund fallen zu lassen, so als klänge von unten eine Stimme hinauf, deren Lockungen man kaum widerstehen konnte?
Mandred betrachtete die Bilder, die die Wand zu seiner Linken zierten, um nicht an den Abgrund denken zu müssen. Sie zeigten von gleißendem Licht umgebene Gestalten, die durch Wälder schritten und auf schlanken Schiffen über aufgewühlte Meere fuhren. Wortlos erzählten die Bilder eine Geschichte. Ihr Anblick schenkte Mandreds aufgewühlten Gedanken Frieden.
Dann wurde die Harmonie der Bilder gestört. Andere Geschöpfe tauchten auf, Kreaturen, die wie Menschen aussahen, aber Tierköpfe auf ihren Schultern trugen.
Plötzlich blieben die beiden Elfen wie angewurzelt stehen. Die unbekannten Künstler hatten den Manneber gemalt! Er war von einer Lichtgestalt niedergerungen worden, die ihm einen Fuß auf den Nacken stellte. So natürlich war die Schreckensgestalt getroffen, als hätte der Künstler sie vor sich gesehen. Selbst der Farbton der blauen Augen stimmte. Die Lichtgestalt aber hatte kein Gesicht mehr. Ein Stück Putz war herausgebrochen. Bisher hatte Mandred nirgends eine Beschädigung an dem Wandfries entdecken können. Die Zeit war spurlos an dem Kunstwerk vorübergegangen.
Der Jarl spürte, wie sich die feinen Härchen in seinem Nacken aufrichteten. Hier stimmte etwas nicht! Warum trafen sie hier auf niemanden? Wenn dies hier die Bibliothek war, warum gab es hier dann keine Bücher? Und warum löschte der einzige Schaden an dem gesamten Bilderfries das Gesicht jenes Kriegers aus, der einst den Manneber besiegt hatte? War das wirklich ein Zufall?
Farodin hatte seine Rechte auf den Schwertknauf gelegt. Er blickte den Spiralweg hinab.
»Dort unten gibt es ein Tor«, sagte der Elf leise. »Wir sollten uns möglichst still verhalten.« Er sah Mandred an. »Wer weiß, was uns hier erwartet.«
»Sind wir denn in der Bibliothek, die ihr gesucht habt?«
Farodin zuckte mit den Schultern und ging voran. »Jedenfalls sind wir nicht mehr in deiner Welt, Menschensohn.«
So leise er konnte, folgte Mandred den beiden Elfenkriegern. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie das Tor erreichten.
Auf den Wandbildern waren nun blutige Kämpfe zwischen den Lichtgestalten und den Männern und Frauen mit den Tierköpfen dargestellt. Es gab kein zweites Bild des Mannebers. Was immer mit ihm geschehen war, in den späteren Schlachten hatte er offenbar keine Rolle mehr gespielt.
Das Tor, an dem der Spiralweg endete, war mehr als vier Schritt hoch. Jenseits davon lag ein langer, schmaler Gang, dessen Wände mit poliertem Granit ausgekleidet waren. Die Decke des Ganges musste mehr als zwanzig Schritt hoch sein. Dort waren merkwürdige Sprossen angebracht, ganz so, als sollte man sich an der Decke entlanghangeln. Große Barinsteine leuchteten in regelmäßigen Abständen zwischen den Sprossen. Die Wände aber waren über und über mit Kolonnen kleiner Schriftzeichen bedeckt. Wer mochte so etwas lesen? Mandred legte den Kopf in den Nacken. Und wie konnte man lesen, was weiter oben auf den Wänden stand?
Ein Stück voraus hing ein mit Leder aufgepolsterter Sitz an vier eisernen Ketten herab. Die Art, wie er aufgehängt war, erinnerte Mandred an die Kinderwiege, die er vor so langer Zeit gezimmert hatte. Sie hatte an vier starken Seilen vom mittleren Deckenbalken des Langhauses gehangen. Der Jarl spürte einen Kloß im Hals aufsteigen. Das war vergangen! Es war töricht, darüber nachzudenken.
Sie waren etwa zwanzig Schritt dem Gang gefolgt, als nach links ein weiterer hoher Flur mit beschriebenen Wänden abzweigte. Der Hauptgang verlor sich in der Ferne. In regelmäßigen Abständen hingen weitere Sitze von der Decke.
Die Elfen entschieden, weiterhin geradeaus zu gehen. Mandred war es gleich, welchen Weg sie nahmen, solange er sie nicht wieder über einen Abgrund führte.
Sie hatten drei weitere Seitengänge passiert, als Farodin warnend
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