Die Elfen
Stirn. »Es gibt zwei besondere Kraftlinien. Ich weiß
nicht, nach welcher ich greifen muss, um das Tor zu öffnen. Ich verstehe es nicht. Dieses Tor ist irgendwie . anders. Die sechste Linie . Es kommt mir so vor, als wäre sie jünger. So als hätte jemand eine neue Kraftlinie gezogen.«
»Dann muss die ältere diejenige sein, mit der du das Tor öffnest«, sagte Farodin ruhig. »Was ist daran so schwierig?«
»Es ist .« Nuramon fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Da ist etwas, wovon uns die Fauneneiche nichts erzählt hat. Diese neue Linie scheint das alte Gefüge des Albensterns zu beeinflussen. Die Muster sind gestört . oder besser gesagt, sie sind in eine andere Harmonie verrückt.«
Mandred verstand nicht, wovon die beiden sprachen. Sollten sie nur machen!
Nun kauerten sich beide Elfen in den Kreis und hielten die Hände auf den Boden gestreckt. Es schien, als fühlten sie den Puls von etwas Unsichtbarem. Oder hatte vielleicht die Welt einen Puls? Mandred schüttelte den Kopf. So ein unsinniger Gedanke! Wie sollten Erde und Stein einen Pulsschlag haben! Jetzt fing er schon an, wie diese verrückten Elfen zu denken. Vielleicht reichte es ja, mit der Axt ein Loch in den Boden zu schlagen, um in die Zerbrochene Welt hinabzusteigen.
Strahlend wie poliertes Gold öffnete sich ein Tor, das aussah wie eine flache Scheibe aus Licht. Sie stand mitten im Kreis und reichte vom Boden bis fast unter die Kuppeldecke. Mandred tat ein paar Schritte zur Seite. Von dort aus betrachtet, war die Scheibe dünn wie ein Haar.
»Gehen wir«, sagte Farodin. Er klang angespannt. Noch bevor Mandred fragen konnte, was ihm Sorgen machte, war der Elf in dem goldenen Licht verschwunden.
»Stimmt was nicht?«, wandte er sich an Nuramon.
»Es ist diese neue Kraftlinie. Sie unterstützt den Torzauber, aber sie verändert ihn auch, ohne dass wir abschätzen könnten, ob er nur gestärkt wurde oder ob sie ihn manipuliert. Vielleicht solltest du besser hier bleiben. Ehrlich gesagt sind wir uns nicht sicher, ob dieses Tor nun wirklich in die Bibliothek führt.«
Mandred dachte an die Tempelwachen und an die Strafen, die Iskendria gegen Aufsässige verhängte. Da verschwand er doch allemal lieber in einer fremden Welt, aus der es vielleicht kein Zurück mehr gab, als mit zerschlagenen Armen und Beinen auf dem Pferdemarkt angekettet zu werden, damit streunende Hunde ihn fraßen.
»Es ist nicht meine Art, Freunde im Stich zu lassen«, sagte er pathetisch. Das hörte sich besser an, als über die Hunde zu reden.
Nuramon wirkte verlegen. »Manchmal habe ich das Gefühl, wir sind es nicht wert, mit dir zu reiten«, sagte er leise. Dann streckte er Mandred die Hand entgegen, so wie damals in der Eishöhle.
Der Jarl fühlte sich unwohl dabei, mit einem Mann Händchen zu halten. Aber er wusste, Nuramon bedeutete es viel. So schritten sie Seite an Seite durch das Tor.
Mandred spürte einen eisigen Luftzug auf den Wangen. Das Tor öffnete sich über einem Abgrund. Er zuckte zurück und umfasste Nuramons Hand fester. Neben ihnen schwebte Farodin im Nichts.
»Glas«, sagte der Elf ruhig. »Wir stehen auf einer dicken Glasplatte.«
Mandred ließ Nuramon los. Zornig biss er sich auf die Lippen. Natürlich! Er konnte fühlen, dass er auf etwas stand. Aber da war nichts zu sehen. Wie konnte man Glas so kunstvoll fertigen, dass es unsichtbar blieb und das Gewicht eines Menschen und zweier Elfen trug?
Sie standen über einem weiten, kreisrunden Schacht, der sich nach unten hin in mattes Licht verlor. Mandred schätzte, dass es mindestens hundert Schritt in die Tiefe ging. Der Blick in den bodenlosen Abgrund hatte etwas Furchterregendes. Mandred konnte es kaum ertragen, fast hätte er sich wieder an Nuramon geklammert. Wer nur hatte sich so etwas Verrücktes ausgedacht? Über einem Abgrund zu stehen, so als schwebte man!
Das Ganze hier erinnerte Mandred an das Innere eines riesigen, runden Turms. Nur hatte der verrückte Baumeister vergessen, Zwischengeschosse einzuziehen. An der Innenwand des Turms führte eine sanft abfallende Rampe in weiten Spiralen in die Tiefe. Und es schien, als rückten die Wände weiter unten näher zusammen. Mandred schämte sich für seine Angst vor dem Abgrund. Steifbeinig stakste er über die Glasplatte, den Blick fest auf die Wand gerichtet. Bloß nicht in die Tiefe sehen, dachte er die ganze Zeit über und hoffte, dass seine Gefährten ihm nichts anmerkten. Erleichtert seufzte er auf, als er den Aufgang zur
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