Die Elfen
bekam ja schon vom flüchtigen Hinschauen Kopfschmerzen!
»Sagt eurem Menschen, er soll sofort die Tafeln zurücklegen!«, blaffte der Kentaur die beiden Elfen an.
Trotzig nahm Mandred eine weitere Tontafel in die Hand.
»Nehmt diesem Idioten die Tafeln ab!«, fluchte Chiron. »Das sind Traumscheiben aus dem versunkenen Tildanas. Sie zeichnen die Erinnerungen derjenigen auf, die sie in die Hand nehmen und betrachten. Jede Erinnerung, die eine der Tafeln aufnimmt, wird für immer aus dem Gedächtnis getilgt. Lasst diesen kindischen Dummkopf eine Weile die Tonscheiben ansehen, und er wird nicht einmal mehr wissen, wie er heißt.«
»Ist die Märchenstunde bald zu Ende? Mit solchen Geschichten kannst du Kinder erschrecken, Rotauge, aber nicht mich.«
Der Schweif des Kentauren zuckte beleidigt. »Wenn der Mensch es besser weiß.« Ohne sich noch einmal nach Mandred umzusehen, ging er weiter.
»Du solltest die Scheiben lieber weglegen«, riet Nuramon. »Was ist, wenn er Recht hat? Stell dir vor, du könntest dich plötzlich nicht mehr an Alfadas oder Freya erinnern.«
»Dieser Gaul macht mir keine Angst«, entgegnete Mandred trotzig. Dann schob er die Tafeln ins Regal zurück. Sie schien jetzt dichter mit krakeligen Schriftzeichen beschrieben zu sein. Mandred schluckte. Hatte der Pferdearsch etwa die Wahrheit gesagt? Er würde sich nichts anmerken lassen! »Warum sollte ich mir diese Dinger länger anschauen, wo ich doch nicht einmal lesen kann?«, erwiderte er in einem Tonfall, der nicht im Entferntesten so locker klang, wie er es sich gewünscht hätte. »Versteh mich nicht falsch, Nuramon. Aber ich glaube dieser rotäugigen Mähre kein Wort.«
»Natürlich«, sagte Nuramon und lächelte verhalten.
Die beiden beeilten sich, um zu Chiron und Farodin aufzuschließen. Der Kentaur erzählte voller Begeisterung von der Bibliothek. Alles Wissen der Albenkinder sei hier gesammelt. »Wir haben sogar zwei Kopisten, die in der Bibliothek am Hafen von Iskendria arbeiten. In der Regel ist das, was die Menschen aufschreiben, zwar nicht das Pergament wert, doch um der Vollständigkeit willen sammeln wir auch diese Schriften. Sie machen allerdings nur einen winzigen Bruchteil unseres Bestandes aus.«
Mandred hasste diesen überheblichen Schnösel. »Habt ihr auch die Siebzehn Gesänge des Luth hier?«, fragte er laut.
»Wenn sie bedeutend sind, wird sich sicherlich jemand die Mühe gemacht haben, sie niederzuschreiben. Meister Gengalos wird das wissen. Ich interessiere mich für vollendete Formen der Epik und nicht für Verse, die von lallenden Barden in stinkenden Hallen vorgetragen werden.«
Chiron hatte sie zu einer zweiten Rampe geführt, die in weiten Spiralen in die Tiefe führte. Mandred stellte sich vor, wie er den eingebildeten Kentauren in den Abgrund stürzte. Ganz gleich, was er redete, wenn es nicht mal die Siebzehn Gesänge des Luth zu lesen gab, dann war das alles hier ein Dreck. Im Fjordland kannte jedes Kind diese Lieder!
Chiron erzählte indessen weiter von der Bibliothek. Angeblich gab es hier über hundert Gäste. Tatsächlich aber hatte Mandred auf dem langen Weg noch niemanden außer dem Kentauren gesehen.
Das Mannpferd führte sie weiter durch Flure und Hallen, und mit der Zeit empfand selbst Mandred die Menge des Wissens, das hier lagern musste, als einschüchternd. Er konnte nicht fassen, womit man so viele Schriftrollen, Bücher, Tonscheiben und beschriebene Wände füllen mochte. Stand am Ende überall dasselbe, nur mit anderen Worten? War es mit diesen Büchern wie mit den Weibern, die sich zum Waschen am Bach trafen und dabei endlos über dieselben Belanglosigkeiten redeten, ohne dass es ihnen jemals langweilig wurde? Wenn wirklich alles, was man in dieser Bibliothek fand, wichtig und wissenswert wäre, dann müsste man als Mensch daran verzweifeln. Selbst zehn Menschenleben würden nicht ausreichen, um sämtliche Aufzeichnungen hier zu lesen. Vielleicht nicht einmal hundert. Also könnten die Menschen die Welt niemals begreifen, weil sie sich in ihrer Vielfältigkeit jeder Erklärbarkeit entzog. Der Gedanke hatte etwas Befreiendes. So gesehen war es egal, ob man ein Buch gelesen hatte oder hundert oder tausend - oder aber gar keins, so wie Mandred. Man würde die Welt ohnehin nicht besser verstehen.
Langsam kamen sie in Bereiche der Bibliothek, in denen man auch Besucher sah: Kobolde, einzelne Elfen, einen Faun. Mandred bemerkte eine seltsame Kreatur, die einen Stierleib hatte und den
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