Die Elfen
Vielleicht wäre all dies nicht geschehen.« Er trat ein Stück zurück vom Geländer und betrachtete die Königin. Sie sah so jugendlich aus. So schön und unschuldig. »Was habe ich an mir, dass du mich unter allen Albenkindern als deinen Henker auserwählt hast?«
»Wenn ein einziger Dolchstoß hunderte andere Tode verhindern kann, ist es dann verwerflich, ihn zu führen?«
»Nein«, erwiderte Farodin entschieden.
»Und weil du so denkst, habe ich dich meinen Dolch sein lassen. Es gab Zeiten, da hätte ein einzelner Dolchstoß den Auszug der Zwerge verhindert oder den Fortgang der Elfen von Valemas. Ich hatte Angst, dass unsere Völker in alle Winde zerstreut würden oder schlimmer noch, dass wir lange, blutige Fehden miteinander ausfechten würden. Albenmark drohte zu vergehen. Unsere Morde haben es bewahrt. Und wenn wir morgen bestehen, dann wird Albenmark so stark wie nie zuvor sein, und ein neues Zeitalter wird beginnen. Was bedeutet es, einen Körper zu opfern, wenn man weiß, dass die Seele wiedergeboren wird? Es ist nur Fleisch, das vergeht. Und der Seele wird ein neuer Anfang gewährt, der sie diesmal vielleicht nicht auf dunkle Pfade führt.«
»Hast du niemals gezweifelt, ob du das Richtige tust?«
Emerelle drehte sich um und lehnte sich gegen die Brüstung. »Was ist das Maß für Richtig und Falsch, Farodin? Ich habe dir und Nuramon befohlen, Guillaume zu töten. Stattdessen habt ihr beide versucht, ihn zu retten. Und dennoch wurde Guillaume ermordet. Das Schicksal hatte den Tag seines Todes längst festgesetzt. Und obwohl nicht ihr die Bluttat begangen hattet, wurde sie dem Volk der Elfen zugeschrieben. Es war Noroelles richtige Entscheidung als Mutter, mir das Kind nicht zu überlassen. Es war eure richtige Entscheidung, Noroelles Sohn nicht zu töten. Und doch stehen wir hier und kämpfen um Albenmark. Ich habe mich immer bemüht, im Sinne aller Albenkinder zu handeln. Vielleicht hilft es dir, wenn du weißt, dass ich nie leichten Herzens über einen Tod entschieden habe.«
Farodin empfand die Antwort als unbefriedigend. Früher war es ihm leichter gefallen, ihre Worte anzunehmen, ohne sie zu hinterfragen.
Lange standen sie schweigend beieinander und lauschten dem Lärmen des Heerlagers.
»Riechst du den Schwefel?«, fragte er.
Sie nickte. »Man braucht sehr feine Sinne, um den Geruch selbst hier noch wahrzunehmen. Er kommt von jenseits der Shalyn Falah.«
Farodin seufzte. Sie hatten vor dem letzten Kriegsrat von ihrem Kampf mit dem Devanthar berichtet. Emerelle hatte dazu geschwiegen. War es, weil sie nicht vor allen Heerführern die Wahrheit offenbaren wollte? »Er hat uns also wieder getäuscht«, sagte Farodin verzweifelt. »So wie damals in der Eishöhle, als wir dachten, er wäre besiegt. Ist er es, der die Heere der Ordensritter befehligt und den Riss zwischen den Welten erschaffen hat?«
Die Königin strich sich nachdenklich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Schließlich sah sie auf und suchte seinen Blick. »Der Devanthar ist für immer vergangen. Ihr habt ihn auf Albenweise getötet. Einst bannten unsere Ahnen die Devanthar in ihre magischen Waffen. Und dann vernichteten sie diese Waffen. Er wird nicht wiederkehren . Und doch ist er auf gewisse Weise unsterblich. Seine Saat in der Anderen Welt hat reiche Früchte getragen. Es waren Priester mit seinem Blut in den Adern, die während der zweiten Belagerung von Firnstayn den Riss erschufen. Es geschah aus Versehen. Sie wollten zur selben Stunde mit einem Ritual den Albenstern auf dem Hartungskliff und den Stern am Strand verschließen. Doch statt unsere Welten voneinander zu trennen, haben sie die Grenzen niedergerissen. Über die Jahrhunderte ist das Blut des Devanthars ausgedünnt. Heute gibt es keine Priester mehr, die durch ihre Zauber Albenkinder zu morden vermögen. Ereignisse wie während der Seeschlacht, als ich fast getötet worden wäre, haben sich seither nicht mehr zugetragen. Unsere Feinde brauchen allerdings auch keine Magie mehr. Sie gewinnen allein durch die Kraft ihrer Waffen. Und ganz gleich, wie hoch ihre Verluste in den Schlachten gegen uns sind, sie können jeden Toten ersetzen, während die Völker der Albenkinder langsam ausbluten. Deshalb müssen wir morgen siegen! Wir müssen unsere Welt nur noch einen einzigen Tag vor ihnen bewahren!«
Kurz kam Farodin der Gedanke, ob sie ihn vielleicht belogen hatte, um ihm nicht seinen Kampfesmut zu nehmen. Sie sah so unschuldig aus. So rein.
Doch war es in diesem
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