Die Elfen
Hände von Aigilaos' Stirn löste, konnte er mit ansehen, wie sich dessen Gesichtszüge langsam entspannten. Bei all dem Blut, das Nuramon sah, wunderte er sich abermals, dass der Kentaur noch bei Bewusstsein war. Er beschloss, den Versuch zu wagen, gegen den Tod seines Gefährten anzukämpfen, auch wenn es aussichtslos erschien. Er hatte keine Erfahrung mit Kentauren. Es mochte sein, dass sie solche Wunden überleben konnten. So legte er dem Verletzten vorsichtig die Hand auf den offenen Hals.
Aigilaos konnte keine Schmerzen mehr spüren und starrte ihm ernst in die Augen. Dann schüttelte er den Kopf und blickte auf das Schwert des Elfen.
Nuramon war entsetzt. Aigilaos wusste, dass es zu Ende war. Und nun sollte er Gaomees Schwert ziehen, um dem Kentauren damit einen schnellen Tod zu bereiten. Das Schwert, mit dem Gaomee einst in heldenhaftem Kampf Duanoc erschlagen hatte, sollte nun mit dem Blut eines Gefährten befleckt werden.
Nuramon zögerte, aber im Blick des Kentauren lag ein Flehen, dem er sich nicht entziehen konnte. Es nahm ihn geradezu in den Bann. Er musste es tun. Aus Mitgefühl! So zog er das Schwert.
Aigilaos nickte.
»Wir sehen uns im nächsten Leben wieder, Aigilaos!« Er hob die Waffe und ließ sie niederfahren. Doch kurz vor der Brust des Kentauren verharrte die Schwertspitze. Ungläubig schaute Aigilaos auf. »Ich kann es nicht«, sagte Nuramon verzweifelt und schüttelte den Kopf. Die Worte, die er dem Kentauren zum Abschied gesagt hatte, läuteten in seinem Geist wie eine gewaltige Glocke. Wir sehen uns im nächsten Leben wieder! Wer konnte das schon sagen? Nuramon war sich nicht sicher, ob Aigilaos' Seele ihren Weg aus dieser Welt zurück nach Albenmark finden würde. Wer ihm hier das Leben nahm, der mochte ihn für immer der Aussicht auf eine Wiedergeburt berauben.
Nuramon warf das Schwert beiseite. Er hätte die Waffe beinahe mit dem Blut seines Gefährten befleckt. Ihm blieb nur eines zu tun: seine Zauberkraft einzusetzen und zu versuchen, seinen Gefährten zu retten.
Nuramon prüfte noch einmal die Wunden am Hals. Mandred hatte den Eber als grobe Bestie beschrieben. Diese Wunden aber waren so zielsicher in die Haut geritzt, dass sie von einem Messer zu stammen schienen. Konnte der Manneber Waffen führen? Oder hatte eine andere Bestie Aigilaos derart zugerichtet? Was Nuramon verwunderte, war, dass außer dem Blut seines Gefährten keinerlei Spuren zu finden waren, nicht einmal die Fährte des Rehs, das Aigilaos gejagt hatte, setzte sich fort. Auch von Brandan war nichts zu sehen. Vielleicht lag er ebenfalls irgendwo dort draußen im Wald und war ähnlich zugerichtet.
Nuramon unterdrückte den Wunsch, nach den übrigen Gefährten zu rufen. Damit würde er nur die Bestie anlocken. Behutsam legte er die Hände auf die schmalen Wunden. Und kaum hatte er an den Zauber gedacht, kribbelte es erneut in den Fingern. Diesmal jedoch blieb der Schauer aus, den er eben noch in den Armen verspürt hatte. Stattdessen wurde aus dem Kribbeln ein Schmerz, der sich von den Fingerspitzen aus über die Hände bis zu den Gelenken ausbreitete. Schmerz gegen Heilung! Das war der Tausch, der seinem Zauber innewohnte. Als der Schmerz schließlich verblasste, löste Nuramon die Hände von Aigilaos und betrachtete dessen Hals. Die Wunden hatten sich geschlossen.
Doch als er sich den klaffenden Schnitt im Bauch ansah, wusste er, dass seine Kräfte dort nichts ausrichten konnten. Hier war ein Zauber gefragt, der den Körper als Ganzes belebte. Nuramon beugte sich zu Aigilaos' Oberkörper. »Kannst du wieder sprechen?«, fragte er den Kentauren.
»Tu es nicht, Nuramon!«, bat Aigilaos heiser. »Nimm das Schwert und mach dem hier ein Ende!«
Nuramon legte Aigilaos die Hände auf die Schläfen. »Es sind nur Schmerzen.« Er wusste nur zu gut, dass größere Wunden größere Schmerzen für ihn bedeuteten. Dennoch konzentrierte er sich und versuchte ruhig zu atmen.
»Ich wünsche dir das Glück der Alben, mein Freund«, sagte der Kentaur.
Nuramon entgegnete nichts darauf, sondern ließ seine Zauberkraft über die Hände in Aigilaos' Körper fließen. Er dachte an all jene, die er geheilt hatte. Es waren viele Bäume und Tiere gewesen, selten einmal ein Elf…
Mit einem Mal durchfuhr ein stechender Schmerz seine Hände und zog sich die Arme hinauf. Das war der Preis für die Heilung, das galt es auszuhalten! Dann wuchsen die Schmerzen ins Ungeheuerliche. Nuramon schloss die Augen und kämpfte dagegen an. Doch
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