Die Elfen
ob sie Nuramon eine Mutter sein könnte. Doch nun, da sie hier lag, wusste sie die Antwort. Ja, sie konnte es! Sie würde den Vater in Erinnerung halten, wie er gewesen war. Und sie würde dieses Kind…
Es war so weit! Ihre Mutter hatte ihr einst so viel von der Geburt erzählt. Doch nichts hatte sie auf das vorbereiten können, was sie nun spürte. Als wäre ein mächtiger Zauber gesprochen worden, bewegte sich das Kind. Ihr Körper veränderte sich, das spürte Noroelle deutlich. Sie wuchs, wo das Kind hinwollte, und zog sich zusammen, wo es herkam. Es war eine ständige Verwandlung, und Noroelle fühlte, wie ihr Leib in einem Wechselspiel wie von Ebbe und Flut die Magie des Quellwassers in sich aufnahm, um die Wandlung zu vollziehen und dem Kind den Weg zu bereiten. Deutlich spürte sie sein Drängen, es wollte endlich in diese Welt geboren werden.
Selbst die Zeit schien sich nun zu dehnen. Das Mondlicht auf dem Wasser, das Lied der Nixe, das Kind, selbst die unbedeutendste Kleinigkeit - all dies würde für immer in Noroelles Erinnerung bleiben. Sie atmete ruhig, schloss die Augen und ließ geschehen, was geschehen sollte.
Mit einem Mal spürte sie, wie etwas ihren Körper verließ und eine Welle neuer Empfindungen nach sich zog. Ihr ganzer Leib vibrierte und wandelte sich ein letztes Mal. Dann hörte sie den Schrei des Neugeborenen. Gebannt schlug sie die Augen auf.
Die Sängerin unter den Nixen hielt das Kind so, dass gerade eben sein Kopf über dem Wasser war. Es war so klein! So zerbrechlich. Und es schrie aus Leibeskräften.
Die Nixe berührte die Nabelschnur und war sichtlich überrascht, dass sie einfach abfiel. Noroelle wusste, dass bei anderen Albenkindern ein scharfes Messer benötigt wurde, um das Band zur Mutter endgültig zu durchtrennen.
»Ein Junge!«, sagte die Nixe leise. »Es ist… ein wunderschöner Junge.«
Die anderen beiden Nixen zogen Noroelle bis ans Ufer und hoben sie sanft aus dem Wasser. Sie setzte sich auf den flachen Stein und blickte auf das kleine Wesen, das die Sängerin noch immer im Wasser hielt.
Jemand legte Noroelle eine Hand auf die Schulter. Sie schaute auf und sah Obilee neben sich. Sie fasste die Hand der Vertrauten. Dann stand sie auf und schaute an sich hinab. Ein unversehrter Körper. Was hatte sie nicht alles über die Geburt anderer Albenkinder gehört! Dass es Stunden oder gar Tage voller Anstrengung dauerte. Und dass schreckliche Schmerzen wie ein Schatten über diesem wundervollen Ereignis lagen. Bei Noroelle verriet nichts, dass sie soeben ein Kind geboren hatte. Nur innerlich fühlte sie sich geschwächt und leer. Das Kind fehlte ihrem Körper.
Die Hofdamen kamen heran, rieben Noroelle mit blütenzarten Tüchern trocken und halfen ihr dabei, ihre weißen Gewänder anzulegen. Obilee reichte ihr das Tuch, in das sie das Kind wickeln würde.
Erwartungsvoll betrachtete Noroelle die Nixe mit dem Neugeborenen. Endlich kam die Wasserfrau herangeschwommen und hielt Noroelle den Jungen hin. Die Haut des Kindes war ganz glatt, und das Wasser perlte davon ab.
Noroelle nahm ihr Kind in die Arme und wickelte es vorsichtig in das Tuch. Neugierig musterte sie es. Es hatte ihre blauen Augen, und es schrie nicht länger, nun, da es bei der Mutter war. Das wenige Haar, das sie vorsichtig mit dem Tuch trocknete, war braun wie Nuramons. Doch ihre Mutter hatte ihr gesagt, dass ihr Haar bei der Geburt auch braun gewesen und erst mit den Jahren dunkler geworden war. Dieses Kind kam ganz nach ihr. Nur die Ohren unterschieden sich deutlich. Sie waren zwar ein wenig länglich, aber keineswegs spitz. Doch auch das mochte sich noch ändern.
Die Königin trat an Noroelles Seite. »Zeig mir das Kind, auf dass wir erfahren, ob es die Seele eines bekannten Elfen trägt.«
Noroelle hielt der Königin den Jungen hin. »Hier ist mein Sohn.«
Emerelle streckte die Hand aus und wollte das Kind an der Stirn berühren. Doch plötzlich zuckte sie zurück. Entsetzen spiegelte sich auf ihrem Gesicht. »Dies ist nicht Nuramons Kind. Du hast dich geirrt, Noroelle. Es ist nicht einmal ein Elfenkind.«
Das Neugeborene fing wieder an zu schreien.
Noroelle wich erschrocken vor der Königin zurück und drückte ihren Sohn an die Brust. Sie versuchte, das Kind zu beruhigen.
»Schau dir die Ohren an!«, sagte Emerelle.
Gewiss, die Ohren waren zu rund für einen gewöhnlichen Elfen. Aber vielleicht würden sie noch die gewohnte Form annehmen. Was sie viel mehr beunruhigte, war die Tatsache, dass
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