Die Elfen
vor.
»Aber wieso hat sie uns geschickt? Noroelle ist eine Zauberin, der kaum jemand gleichkommt. Und unter uns ist niemand, der sie hier aufspüren könnte. Wieso hat uns die Königin nicht einen Zauberer mit gegeben?«
»Weil sie wohl nicht damit gerechnet hat, dass Noroelle sich ihrem Willen widersetzen würde. Und das, ohne zu wissen, was unser Auftrag ist.«
»Ich weiß nicht, ob ich diesen Auftrag ausführen kann.«
»Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du der Königin den Schwur geleistet hast.«
»Aber ein Kind zu töten!«
Noroelle wich vor den Kriegern zurück. Sie wollte nicht glauben, was sie soeben gehört hatte. Hatte sie Emerelle all die Jahre über falsch eingeschätzt? Sie hätte nicht einmal zu denken gewagt, dass die Königin ihre Krieger ausschickte, um ein hilfloses Kind zu töten. Eine Gefangennahme war das Äußerste, womit Noroelle gerechnet hatte. Was war geschehen, dass Emerelle solche Befehle gab? Oder war sie immer schon so gewesen, und sie hatte es nicht gemerkt?
Die Königin hatte nicht nur diesen unerhörten Mordauftrag erteilt, sondern auch ihr Vertrauen in sie verloren. Sie hätte warten können, bis Noroelle mit ihrem Kind im Thronsaal erschien. So hatte Emerelle es gefordert. Noroelle hätte sich auch daran gehalten, wenn die Königin ihr nicht die Krieger ins Haus geschickt hätte.
Nur eines verstand Noroelle nicht: Warum hatte sie nur Schwertträger geschickt? Die Antwort des Anführers war nicht ausreichend. Denn wenn sich Emerelle nicht vorstellen konnte, dass Noroelle sich ihrem Befehl widersetzte, wieso hatte sie dann die Krieger ausgeschickt? Da steckte mehr dahinter. Was es auch war, Noroelle wusste nun, was sie zu tun hatte.
Niemals würde sie ihren Sohn der Königin und ihren Häschern überlassen. Sie würde das Kind in Sicherheit bringen. Es gab nur einen Ort, an dem Emerelle das Kind nicht ohne weiteres aufspüren konnte: die Menschenwelt.
Noroelle verließ den Wald und ging langsam über die weiten Wiesen. Sie dachte an Farodin und Nuramon. Seit die beiden vor einem Jahr ausgezogen waren, um in der Menschenwelt eine Bestie zu jagen, war ihr Leben nicht mehr das gleiche gewesen. Ein Wolf der Gemeinschaft war verletzt an den Hof der Königin gekommen, ein stummer Bote eines grausigen Schicksals. Kurz darauf waren auch die Pferde ihrer Liebsten zurückgekehrt.
Damals hatte Noroelle an ihren Traum denken müssen. Die Körper ihrer Liebsten waren nie gefunden worden. Jene, die nach ihnen gesucht hatten, wussten zu berichten, dass das Dorf des Menschensohns Mandred unversehrt war. Hätte sie nicht diesen Traum von Nuramon geträumt und ihren Sohn bekommen, sie hätte nicht geglaubt, dass ihre Liebsten tot waren.
Noroelle ging die ganze Nacht über das Land und wurde von niemandem gesehen. Als die Morgensonne über den Bergen aufging, erreichte sie ein einsames Tal. Sie trug ihren Sohn in einem über Kreuz geschlagenen Tuch eng an den Leib gewickelt. Er hatte sich die ganze Zeit über ruhig verhalten und sogar ein wenig geschlafen. »Du bist ein gutes Kind«, sagte sie leise und strich ihm über den Kopf. Dann setzte sie sich ins Gras und gab dem Kind die Brust. Als es gesättigt war, legte sie es neben sich und betrachtete es. Es würde ein schmerzvoller Abschied werden. Aber es war der einzige Weg, ihren Sohn zu retten.
Noroelle erhob sich. Die Andere Welt! Sie würde die Grenzen überschreiten. Sie wusste zwar viel von den Albenpfaden, die durch die drei Welten führten und sie miteinander verbanden, aber sie hatte dieses Wissen nie angewendet. Die festen Tore, wie jenes, durch das ihre Liebsten gegangen waren, waren kein Weg für sie. Dort hatte Emerelle sicher längst Wachen stehen, und es wäre auch zu leicht, dem Weg zu folgen, den sie genommen hatte, wenn sie ein solches Tor für ihre Flucht wählte. An Orten großer Macht, so wie bei dem Steinkreis Atta Aikhjartos, kreuzten sich bis zu sieben jener unsichtbaren Wege, die alle Welten durch magische Bande miteinander verwoben. Durchschritt man ein solches Tor von großer Macht, so gelangte man stets zum gleichen Ort. Je weniger Albenpfade sich aber kreuzten, desto wandelbarer wurde das Tor in die Andere Welt. Wenn man an solchen kleinen Albensternen den Übergang wagte, konnte niemand sagen, wohin es ihn in der Menschenwelt verschlagen mochte. Und jene, die über keine große Zauberkraft verfügten, mochten sogar ein Opfer der Zeit werden. Noroelle wusste, dass sie sich hüten musste, damit es
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