Die Elfen
Macht sie im Thronsaal erwartete. Aber dessen hätte es nicht einmal bedurft. Noroelle wusste nur zu gut, dass niemand in Albenmark sich mit der Königin messen konnte.
»Wir haben sie bei der Fauneneiche gefunden«, hörte sie den Krieger sagen. »Sie hat uns nicht preisgeben wollen, wo sich das Kind befindet.«
Das Wasser an den Wänden versiegte, und eine entsetzliche Stille legte sich über den Saal.
»Noroelle die Zauberin kehrt zurück.« Die Stimme der Königin war leise, drang aber durch den gesamten Saal bis zu ihr. »Und sie ahnt nicht, wie groß das Übel ist, das sie über uns gebracht hat. Nenn mir einen Grund, wieso ich dich noch in meinen Thronsaal hineinlassen sollte, Noroelle!«
»Um mich mit deinem Richtspruch wieder daraus zu verbannen.«
»Dann siehst du ein, dass du etwas Abscheuliches getan hast?«
»Ja. Ich habe mich dir widersetzt. Und das sollte niemand tun, der unter deinem Schutz steht. Aber ich bin nicht nur hier, um ein Urteil zu empfangen, sondern auch, um anzuklagen.«
Ein Raunen ging durch den Saal. Niemand in Albenmark hatte die Königin an ihrem Hof je so offen herausgefordert. Noroelle war jedoch nicht willens zu verschweigen, was Emerelle dem Kind hatte antun wollen. Sie wunderte sich, dass die Königin diese Zusammenkunft in aller Öffentlichkeit abhielt. Auf diese Weise würde alles an den Tag kommen.
»Dann tritt vor den Thron von Albenmark, wenn du es wagst.«
Noroelle zögerte, durchschritt dann aber das Tor und ging der Königin entgegen. Dieses Mal waren ihr die Blicke all derer, an denen sie vorüberging, völlig gleichgültig.
Vor der Königin verbeugte sie sich und sah kurz zur Seite. Neben Meister Alvias stand Obilee. Ihre Freundin machte ein verzweifeltes Gesicht und schien den Tränen nahe.
»Bevor ich über dich entscheide, werde ich anhören, was du vorzubringen hast«, sprach die Königin voller Kälte. »Du sagtest, du wollest jemanden anklagen. Um wen handelt es sich?«
Selbstverständlich um Emerelle! Aber einen direkten Angriff auf die Königin vor versammeltem Hofstaat wollte Noroelle nicht wagen. »Ich klage Dijelon an«, sagte sie stattdessen. »Denn er kam vor drei Tagen in mein Haus, um meinen Sohn zu töten.«
Noroelle sah, wie der Krieger erstarrte. Sie wusste, dass er auf Befehl der Königin gehandelt hatte und war gespannt, wie weit seine Treue ging.
Die Königin blickte kurz zu Dijelon, dann wieder zu Noroelle, als hätte sie lediglich feststellen wollen, ob der Krieger noch anwesend war. »Und, ist es ihm gelungen?«
»Nein.«
»Was soll ich deiner Meinung nach tun, Noroelle? Rate mir in diesem Fall.«
»Ich möchte keine Genugtuung, und ich will Dijelon auch nicht bestraft sehen. Ich möchte nur wissen, warum er das Leben meines Sohnes auslöschen wollte.«
»Nun, Noroelle, Dijelons Treue verbietet es ihm zu sprechen, also will ich an seiner Stelle antworten: Er handelte auf meinen Befehl.« Flüstern erhob sich unter den Höflingen. »Aber ich schätze, diese Antwort wird dir nicht genügen, nicht wahr? Du fragst dich, wie ich, euer aller Königin, die Tötung eines Albenkindes befehlen konnte.«
»So ist es.«
»Und wenn es kein Albenkind wäre, sondern…«
Noroelle unterbrach die Königin. »Er ist mein Sohn, das Kind einer Elfe! Und damit stammt er von den Alben ab.«
Die Anwesenden im Saal waren empört. Der Krieger Pelveric rief laut: »Wie kannst du es wagen!«, und fand damit allgemeine Zustimmung.
Emerelle aber blieb ruhig. Sie hob die Hand, und Schweigen kehrte ein. »Noroelle, wenn du das Wasser bist, dann ist der Vater des Kindes das Feuer.«
Noroelle merkte, worauf die Königin anspielte. Mit einem Mal bekam sie es mit der Angst zu tun. »Bitte sage mir, wer der Vater dieses Kindes ist. Etwa ein Mensch?« Sie musste an die runden Ohren ihres Sohnes denken.
»Nein, es gab schon manches Mal Verbindungen zwischen Menschen und Elfen. Nein, Noroelle.« Sie erhob sich. »Hört, was ich zu sagen habe! Nichts ist mehr so, wie es einst war. In jener Nacht, da Noroelles Kind gezeugt wurde, ist etwas in Bewegung geraten, das wir mit aller Macht beenden müssen. So viele Jahre haben wir in Sicherheit gelebt, selbst wenn wir gegen Trolle oder Drachen kämpfen mussten. Ich erinnere mich an jene Tage, da die Welt, die zwischen unserer und der der Menschen liegt, noch blühte. Ich kenne die tödlichste aller Bedrohungen. Nie werde ich vergessen, was die scheidenden Alben mich sehen ließen: Ich wurde Zeuge des Untergangs der
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