Die Elfen
wiedergeboren.«
Noroelle war verzweifelt. Ein Devanthar! Sie sollte Abscheu empfinden, aber sie konnte es nicht. Sie vermochte ihren Sohn nicht als Dämonenkind zu sehen. Sie hatte ihn in Liebe empfangen. Konnte er dann schlecht sein? Nein, eine Mutter wusste um die Seele ihres Kindes. Und in ihrem Sohn hatte sie kein Übel gesehen. Jedoch gab es dafür keinen anderen Beweis als ihr Wort, alles andere sprach gegen sie. Sie wusste, dass das Urteil der Königin sie das Leben kosten konnte. Sie aber hatte die Gewissheit, wiedergeboren zu werden. Und so sagte sie: »Weil mein Kind nur dieses eine Leben besitzen könnte, darf ich es nicht in den Tod führen.«
»Aber manchmal muss man das in den Untergang schicken, was man liebt.«
»Ich kann mein eigenes Leben oder meine eigene Seele opfern. Aber über die eines anderen darf ich nicht verfügen.«
»Du hast es vielleicht bereits einmal getan. Erinnerst du dich an deine Worte? Was du ihnen aufträgst, das werden sie für mich tun? Warst du nicht die Minneherrin von Farodin und Nuramon? Es mag sein, dass der Devanthar ihre Seelen getötet hat. Vielleicht hast du schon einmal das, was du liebtest, vernichtet.«
Noroelle wurde wütend. »Du bist Emerelle, die Königin! Und ich danke dir dafür, dass du meinen Besucher in jener Nacht als Lügner entlarvt hast. Das gibt mir die Hoffnung zurück, dass Nuramon und Farodin noch leben. Über das Schicksal meiner Liebsten gibt es keine Gewissheit. Doch selbst wenn ich sie ins Verderben geschickt habe, dann geschah es, weil ich die wahre Gefahr nicht kannte. Und wie hätte ich wissen können, was selbst die Königin nicht wusste? Würde ich nun aber meinen Sohn verraten, dann würde ich wissentlich Schuld auf mich laden.«
Emerelle schien unbeeindruckt. »Das ist dein letztes Wort?«, fragte sie nur.
»Das war es.«
»Hast du das Kind allein fortgeschafft? Oder hat dir irgendjemand dabei geholfen?« Sie schaute zu Obilee, die vor Angst bebte.
»Nein. Obilee wusste nur, dass ich alles Leid von dem Kind fern zu halten gedachte.«
Die Königin wandte sich an Dijelon. »Hat dich Obilee in irgendeiner Weise behindert oder belogen?«
»Nein, dazu hatte sie zu große Angst«, antwortete der Krieger und starrte dann Noroelle mit seinen kalten grauen Augen an.
Die Königin wandte sich an Noroelle. »Dann höre mein Urteil.« Sie hob die Arme, und mit einem Mal floss das Wasser wieder aus den Quellen. »Du, Noroelle, hast schwere Schuld auf dich geladen. Als mächtige Zauberin hast du nicht zwischen deinem Liebsten und einem Devanthar unterscheiden können. Als das Dämonenkind in dir wuchs, hast du sein wahres Wesen nicht erkannt. Deine Liebe zu deinem Sohn ist so groß, dass du für ihn sogar die Völker Albenmarks opfern würdest. Und selbst im Angesicht dieser Wahrheit stellst du das Leben eines Kindes über das Leben aller. So sehr ich dich als Frau verstehen mag, kann ich als Königin deine Entscheidung nicht hinnehmen. Du hast Albenmark verraten und zwingst mich, dich zu bestrafen. Nicht den Tod mit der Aussicht auf Wiedergeburt sollst du erleiden, sondern die Verbannung. Doch nicht in die entferntesten Marken oder die Andere Welt sollst du entrückt sein. Deine Strafe ist die ewige Verbannung auf eine Insel in der Zerbrochenen Welt. Das Tor zu diesem Ort wird nicht in Albenmark liegen, und niemand soll je den Weg zu dir finden.«
Kalte Angst griff nach Noroelles Herz. Das war die schlimmste Strafe, die man über ein Albenkind sprechen konnte. Sie wandte sich zum Hofstaat um, doch in den Gesichtern der Anwesenden fand sie nur Abscheu und Zorn. Dann dachte sie an ihren Sohn, und die Erinnerung an sein Lächeln gab ihr die Kraft, den Pfad zu Ende zu gehen, den ihr das Schicksal bestimmt hatte.
»Du wirst an diesem Ort auf ewig leben. Suchst du den Tod, kannst du nicht auf Wiedergeburt hoffen«, verkündete Emerelle mit tonloser Stimme, »denn auch deine Seele wird den Verbannungsort nicht verlassen können.«
Noroelle wusste, was das bedeutete. Sie würde nie ins Mondlicht gehen. Ein Albenkind konnte an einem solchen Ort niemals seine Bestimmung finden.
»Wirst du dieses Urteil annehmen?«, fragte Emerelle.
»Das werde ich.«
»Ein letzter Wunsch steht dir frei«, sprach die Königin.
Noroelle hatte viele Wünsche, aber keinen davon könnte sie äußern. Sie wünschte sich, das alles wäre nicht geschehen. Sie wünschte sich, ihre Liebsten wären hier, könnten sie retten und mit ihr fortgehen; an einen Ort, an dem
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