Die Elfen
Merkwürdige war, dass sich das Gefühl, viel erlebt und damit auch viel Zeit verbracht zu haben, auch auf Nuramon übertrug.
»Welche Räuber meinst du?« Sie waren einigen begegnet. Und die meisten waren alsbald vor ihnen geflüchtet.
»Die ersten, die wir getroffen haben. Die, die sich richtig gewehrt haben.«
»Ich erinnere mich.« Wie könnte er die Plünderer aus Angnos vergessen! Er und die anderen Elfen hatten ihre Kapuzenmäntel getragen und waren nicht auf den ersten Blick als Albenkinder zu erkennen gewesen. Für die Räuber war es ein böses Erwachen geworden. Dummerweise hatten sie nicht aufgeben wollen, weil sie sich ihnen von der Zahl her weit überlegen glaubten. So hatten sie auf schmerzhafte Weise den Unterschied zwischen Macht und Masse kennen gelernt.
»Das war doch ein Kampf!« Mandred schaute sich um. »Ich wünschte, hier würden ein paar Strauchdiebe auf uns lauern.«
Nuramon schwieg. Dieser Wunsch Mandreds konnte nur eines bedeuten: Heute Abend würde Alfadas sich wieder einmal für eine Übung bereithalten müssen.
Mandred konnte es nicht lassen, seinen Sohn für den Kampf mit der Axt begeistern zu wollen. Doch Alfadas bewies seinem Vater ein ums andere Mal, dass er in der Lage war, mit dem Schwert gegen ihn zu bestehen. Wenn Mandred von seinem Sohn besiegt wurde, so war sich Nuramon nie über die Gefühle des Kriegers im Klaren. War er stolz oder war er beleidigt? Manchmal hegte Nuramon auch den Verdacht, dass Mandred sich insgeheim in den Übungskämpfen zurückhielt, aus Sorge, er könne Alfadas verletzen.
Sie erreichten einen Hügelkamm und hatten nun einen freien Blick auf das weite Flusstal unter ihnen. Nuramon deutete zu der Stadt am westlichen Ufer. »Aniscans! Endlich lassen wir die Wildnis hinter uns.«
»Endlich kehren wir wieder in eine Taverne ein und bekommen was Vernünftiges zu trinken. Mein Magen denkt schon, man hätte mir den Kopf abgeschnitten.« Mandred schnalzte. »Was glaubt ihr? Haben die dort unten Met?«
Fast schien es, als hätte der Menschensohn seinen Kummer um Freya vergessen. Doch Nuramon durchschaute den Schein und sah einen Mann, der seinen Schmerz verbergen und betäuben wollte.
Langsam ritten sie den Hang hinab. Unterhalb des Hügels verlief eine Straße, die geradewegs zur Stadt führte. Eine Brücke überspannte in sieben flachen Bogen das weite Flussbett. Die Schneeschmelze hatte den Strom anschwellen lassen und viel Treibholz aus den Bergen mitgebracht. Männer mit langen Stangen standen auf der Brücke und verhinderten, dass treibende Stämme sich vor den Brückenpfeilern quer legten und das Wasser stauten.
Die meisten Häuser von Aniscans waren aus hellbraunem Bruchstein errichtet. Es waren wuchtige, hohe Bauten, die sich eng aneinander drängten. Ihr einziger Schmuck waren die leuchtend roten Dachschindeln. Rings um die Stadt hatte man Weinberge angelegt. Mandred würde in jedem Fall Gelegenheit haben, sich zu betrinken, dachte Nuramon bitter.
»Ein Land voller Narren«, polterte der Menschensohn plötzlich los. »Seht euch das an! So eine reiche Stadt, und sie haben nicht einmal eine Mauer. Da ist ja Firnstayn besser befestigt.«
»Man hat eben nicht mit deinem Besuch gerechnet, Vater«, sagte Alfadas lachend. Die übrigen Gefährten fielen in das Gelächter ein. Selbst Gelvuun grinste.
Mandred wurde rot. »Leichtfertigkeit ist die Mutter manchen Unglücks«, sagte er dann ernst.
Ollowain lachte auf. »Wie es scheint, schmilzt die Frühlingssonne den harten Eispanzer des Barbarenhäuptlings, und, o Wunder, darunter kommt ein Philosoph zum Vorschein.«
»Ich weiß nicht, was Vielosoof für eine Beleidigung ist, aber du kannst sicher sein, dass der Barbarenhäuptling dir gleich die Axt in den Rachen schiebt!«
Ollowain schlang die Arme übereinander und tat, als zitterte er. »So plötzlich kehrt der Winter zurück und lässt die schönsten Frühlingsblüten erfrieren.«
»Hast du mich gerade etwa mit Blüten verglichen?«, grollte Mandred.
»Nur eine Allegorie, mein Freund.«
Der Menschensohn runzelte die Stirn. Dann nickte er. »Ich nehme deine Entschuldigung an, Ollowain.«
Nuramon musste sich auf die Lippen beißen, um nicht laut loszulachen. Er war froh, als im nächsten Augenblick Alfadas zu singen begann, um den unglücklichen Disput zu unterbrechen. Der Junge hatte eine überaus schöne Stimme… für einen Menschen.
Sie folgten der Straße am Fluss, vorbei an Ställen und kleinen Gehöften. Vieh weidete entlang des
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