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Die elfte Geißel

Die elfte Geißel

Titel: Die elfte Geißel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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Léos Körper in beunruhigender Weise auf.
    »Wir werden hier nichts finden. Wir müssen am helllichten Tag mit einem ganzen Team zurückkommen«, flüsterte ihm Zoé zu.
    »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn Clarisse Katz recht hat, dann bleiben uns nur noch zwei Stunden. Wir müssen uns trennen und jeder für sich suchen.«
    »Ich durchsuche den rechten Flügel und das Obergeschoss.«
    Zoé verschwand in der Dunkelheit. Schon bald sah und hörte man von ihr nur noch das dumpfe Geräusch der Glasscherben, die unter ihren Schritten knirschten.
    Léo richtete seine Taschenlampe auf die dunkelsten Zonen und bückte sich, um unter einem Stapel Balken hindurchzuschlüpfen. Karren türmten sich zu einem unförmigen Gebirge auf, das von Rost zerfressen war.
    Sein Fuß stieß gegen etwas Weiches, Gummiartiges. Im Schein seiner Lampe entdeckt er eine wimmelnde kleine Schar von Ratten, die durch das Licht aufgeschreckt worden waren. Er konnte nicht erkennen, worüber sich die Ratten hergemacht hatten. Er hob eine Eisenstange auf und näherte sich ganz langsam, wobei er die Taschenlampe weiterhin auf die Nagetiere richtete. Blitzschnell schlug er in den Haufen. Die Ratten quiekten wütend, bevor sie sich in der Finsternis zerstreuten. Léo ging in die Hocke, um die Reste ihres Mahls zu beleuchten.
    Knochen lagen auf einem kleinen Haufen, doch waren sie für Tierknochen zu dick. Er begann sie zu sortieren und unterdrückte dabei einen starken Brechreiz. Mittelfußknochen, Zehengrundglieder, Fußwurzelknochen. Als er die Identifizierung abgeschlossen hatte, hob er die Augen zum Himmel und atmete tief ein. Er hatte so vielen Obduktionen beigewohnt, dass er wusste: Es handelte sich um menschliche Gebeine. Um Fragmente der Fußknochen.
    Ein Detail machte ihn stutzig. Im Schein der Taschenlampe betrachtete er seine Hände. Kohlenstaub schwärzte seine Finger. Er musterte die Knochen eingehender und stellte mit Schrecken fest, dass einige an den Enden verkohlt waren. Die hohle Hand auf dem Mund, zwang er sich, dem pestilenzialischen Gestank zu folgen; er richtete den Lichtkegel ins Innere der Fabrik, wo der Geruch herzukommen schien. Die riesigen Schlünde der Hochöfen, die sich zu langen Backsteinschloten dehnten, gähnten ihn an. Der Gestank nach verkohltem Fleisch drang in seine Nasenlöcher und seine Poren und drehte ihm den Magen um.
    Er blieb gebeugt vor der Flucht der Öfen stehen und steckte die Arme bis zu den Schultern in die Asche. Er siebte den Staub, der ihm wie bei einer umgedrehten Sanduhr durch die Finger rann, und kehrte zu dem Zeitpunkt zurück, als Amandine ihren zweiten Tod gestorben war. Etwas Festes verfing sich zwischen dem Mittel- und dem Ringfinger seiner Hand. Er entnahm dem Aschenbett das Fragment eines bezahnten Kiefers.
    Léo trat einen Schritt zurück und betrachtete die riesige Urne, in der Amandine ruhte. Das Mädchen, das er von ganzem Herzen geliebt hatte, war wieder zu Staub geworden und hatte jenes Lächeln mit sich genommen, das seinem Leben einen Sinn gegeben hatte. Ein Lächeln, das er zwischen seinen Fingern hielt, entblößt bis auf die Knochen.
    Er dachte an das, was ihm Maxime am Ende der Ermittlungen gesagt hatte.
    »Wir alle brauchen ein Phantom oder eine Schuld, an der wir uns festhalten. Ohne sie ist das Leben unerträglich.«
    Léo fühlte sich hilflos. Seltsamerweise war in Anbetracht dieses behelfsmäßigen Krematoriums das Gefühl der Befreiung jedoch stärker als die Bedrückung. Diese erzwungene Trauer erleichterte ihn. Die unsichtbaren Ketten, die ihn fesselten, gaben nach.
    Amandine. Alice. Amandine. Alice.
    Die Melodie verhallte mit dem Bild des Mädchens. Übrig blieben eine unermessliche Leere und eine vollkommene Ruhe.
    Zum ersten Mal begriff er in aller Klarheit, welcher Sache er sein Leben gewidmet hatte.
    Die Krankheit in seinem Kopf hatte seine Kindheit aufgefressen, seine Träume aufgezehrt. Genau wie die Opfer, die zu retten er sich abrackerte. Durch ihr Lächeln hindurch war er sich selbst auf der Spur, jenem Teil seines Lebens, den ihm die Ärzte entrissen hatten, dieser verlorenen Unschuld.
    Er richtete die Taschenlampe auf den Boden, der mit Schrott und Abfällen übersät war. Kleidungsstücke verrotteten in Öllachen. Er hob einen Fetzen an und fand darunter zerbrochene Teller, Küchengeräte, Badehandtücher, Schönheitsprodukte. Blandines ganze Habseligkeiten lagen verstreut unter Blechstücken herum. Er stöberte hastig herum, räumte den Metallschrott

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