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Die elfte Geißel

Die elfte Geißel

Titel: Die elfte Geißel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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ihn mit beiden Armen umfasste, um ihn zurückzuhalten.
    »Clara! Clara!«
    Im selben Moment erhellte eine jähe Lichtexplosion die gesamte Straße.

68
Guéret,
Stadtbibliothek,
Sondereinheit
    Ein muffiger Geruch, überlagert von einer Mischung aus Weinessig und Schmierseife. Der sich neigende Tag färbte den Staub auf den Büchern der Stadtbibliothek gelb.
    Carrère begann ernsthaft die Geduld zu verlieren. Auf Musils Anraten unterhielt er sich seit über einer Stunde mit der Bibliothekarin, die ein wandelndes Heimatkunde-Lexikon war, doch die Langsamkeit der alten Frau war eine echte Geduldsprobe für ihn.
    Über eine Karte Frankreichs gebeugt, legte sie ihre knorrige Fingerkuppe auf einen Punkt südlich des Departements Puy-de-Dôme.
    »Die Höhlen von Cornadore?«, sagte sie und hob ihr Gesicht, das wie eine überreife tropische Frucht von Adern durchzogen war.
    »Nein, nein, wir entfernen uns zu weit. Es muss näher sein.«
    Der Brigadier trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Alle verdufteten. Der Rechtsmediziner ging nicht ans Telefon, also versuchten ihn Broissard und Musil in seiner Wohnung zu erreichen. Dass der Junge in einem unterirdischen Versteck gefangen gehalten worden war, schien eine Spur zu sein, die in eine Sackgasse führte. Kalk, Blei und Bisse von Hundertfüßern. Drei Indizien wie drei Sandkörner auf einem ganzen Sandstrand voller Möglichkeiten. Nichts im Umkreis von hundert Kilometern.
    »Die Höhle von Fage im Departement Corrèze? Wissen Sie, dass sich dort die größte Ansammlung von Fledermäusen in Europa findet? Aber da gibt es auch ...«
    Kopfschütteln. Er hatte vorgegeben, einen Artikel für ein kommunales Fan-Magazin schreiben zu wollen, und die Siebzigjährige hatte sich sehr über die Gelegenheit gefreut, ihre Belesenheit zu demonstrieren.
    »Die Höhlen von Lamouroux? Aber sie sind für die Öffentlichkeit gesperrt.«
    Ein weiteres Kopfschütteln. Er begann seine Sachen einzusammeln, deprimiert über den Misserfolg und die absehbaren Konsequenzen, die sich daraus ergaben. Sie tappten weiterhin im Dunkeln.
    »Ich befürchte, dass ich Ihnen nicht wirklich weiterhelfen kann, junger Mann. Diese Region ist für die Höhlenforschung und für unterirdische Exkursionen nicht besonders ergiebig. Ehedem gab es die Katakomben der Festung von Crozant, aber heute ...«
    Ein heiseres Murmeln.
    »Moment mal, wovon reden Sie?«
    Crozant. Sofort erkannte er die Verbindung. Gérard Maurois hatte dort vor seiner Verhaftung als Fremdenführer gearbeitet.
    »Man nannte sie zwar Katakomben, tatsächlich aber handelte es sich um einen Steinbruch, den man benutzte, um die Burg zu errichten. Doch ich versichere Ihnen, dass dort niemand begraben wurde.«
    Genau das war überaus fraglich, dachte er. Sein Herz schlug schneller.
    »Erzählen Sie mir mehr darüber.«
    »Nur wenige Menschen wissen überhaupt von ihrer Existenz. Ihre Spuren finden sich nur in alten Büchern über die Geschichte des Departements. Die meisten Zugänge wurden bei einem Erdbeben im Jahr 1606 verschüttet.«
    »Und wie finde ich diese Zugänge?«
    »Theoretisch gibt es zwei. Der Haupteingang befindet sich in Saint-Jallet. Der zweite Eingang liegt gegenüber der Burgruine, jenseits des Flusses. Dort vereinigt sich die Sédelle mit der Creuse zu einem Fluss.«
    Die Leiche des Kindes war in der Nähe des Ufers, sieben Kilometer von der Stelle entfernt, geborgen worden.
    »Das ist ein sehr schöner Ort. George Sand beschreibt ihn in ...«
    Schon war Carrère draußen.
    Es würde schon bald dunkel werden. Ein Wettrennen mit der Sonne hatte begonnen.
    Der Brigadier schaltete in den fünften Gang, worauf der Wagen einen Satz machte. Das Straßenband wand sich kurvenreich vor ihm, bevor es, je näher er den Höhlen kam, zunehmend ausfranste.
    Weshalb hatten Musil und seine Männer nicht das Gebiet unterhalb des Tatorts abgesucht?
    Er schimpfte vor sich hin, als er an die Unfähigkeit der Polizisten dachte, denen die Ermittlungen übertragen worden waren. Aber etwas anderes ließ ihm keine Ruhe. Wenn sich seine Ahnung als richtig erweisen sollte, würde dies die Ermittlungen auf den Kopf stellen.

69
Crozant,
Sondereinheit
    Carrère stieg aufs Gas und raste in die Ortschaft Crozant. Dort standen niedrige Häuser, die sich an der Hauptstraße irgendwie aneinanderreihten. Das einzige Licht war das Leuchtschild einer Bar, in der nicht viel los war. Er fuhr quer über den Dorfplatz, der so menschenleer schien, als wäre eine

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