Die elfte Geißel
einen Geldtransporter überfallen. Aus diesem Grund haben sie mich eingebuchtet. Bewaffneter Raubüberfall. Kriminelle Bande. Wiederholungstäter. Wenn ich noch einmal erwischt würde, bekäme ich lebenslänglich. Sie haben mir ein Tauschgeschäft vorgeschlagen.«
»Was heißt das?«
Blandines Stimme zitterte vor Verblüffung.
»Für die Vergewaltigung eines Minderjährigen würde ich zwölf Jahre bekommen. Acht bei guter Führung. Überlegen Sie selbst. Lebenslänglich oder die Chance, eines Tages auf freien Fuß zu kommen. Was würden Sie tun?«
Blandine suchte nach einer Unebenheit, nach irgendetwas, woran sie sich festklammern könnte, aber um sie herum war nichts. Ihre Gewissheiten, ihr Glaube, ja sogar ihr Leben schienen sie zu verlassen.
»Ich will alles wissen.«
»Ende 2000 hat jemand in einem Pariser Vorort einen bewaffneten Raubüberfall organisiert. Eine einmalige Gelegenheit.«
»Wer? Ein Name?«
»Jésus Miguel Montoya. Er hat sich über einen seiner Handlanger an uns gewandt. Wir sollten einen Transporter überfallen und Inhaberanweisungen für ihn beschaffen.«
»Wie ist er auf euch gekommen?«
»Der Kreis von Personen, der für solche Operationen in Frage kommt, ist nicht sehr groß. Unser ehemaliger Hehler, Gaspard Fogeti, hat die Verbindung zwischen Montoya und uns hergestellt. Er hatte uns geholfen, das Geld zu waschen, das wir uns 1981 verdient hatten. Fogeti hat uns auch an die Bullen verraten.«
»Woher wissen Sie das?«
»Das Dezernat gegen Bandenkriminalität und die Mordkommission sind uns auf die Pelle gerückt, kaum dass wir wiederaufgetaucht waren.«
»Wer hat euch festgenommen?«
»Kommissar Rilk. Er wusste alles über uns und den Überfall. Ganz offensichtlich hatte jemand geplaudert. Gaspard war der Einzige, der zu diesem Spagat fähig war, ein Fuß bei Montoya, der andere bei den Polizisten. Dieser Mistkerl hat sogar in meinem Prozess gegen mich ausgesagt. Er hat auch Informationen über Montoya preisgegeben. Da wurde mir klar, dass Fogeti und Montoya mich von Anfang an reingelegt hatten.«
»Und dann?«
»Nachdem uns die Bullen entdeckt hatten, haben wir nicht verstanden, wieso sie uns beschatteten, ohne zuzugreifen. Unsere Wohnung wurde rund um die Uhr überwacht. Das ging eine Zeit lang so. Dann haben eines schönen Tages zwei untere Dienstgrade an unsere Tür geklopft. Sie haben uns einen Deal vorgeschlagen. Sie sprachen von einem ›Wechsel der Anschuldigungen‹. Sie würden den bewaffneten Überfall vertuschen, und wir würden im Gegenzug das auf unsere Kappe nehmen, was anderen zur Last gelegt wurde. Acht Jahre ohne Bewährung gegen lebenslänglich. So ein Angebot kann man nicht ablehnen. Damals wusste ich nicht, dass ich den Platz eines Pädophilen einnehmen sollte. Ich schwöre Ihnen, dass ich es nicht wusste.«
»Wollen Sie mir sagen, dass Polizisten Sie als Deckmantel benutzten, um die wahren Kinderschänder unbehelligt zu lassen? Wer sind sie? Ich will ihre Namen.«
»Sie verstehen nicht. Sie sind überall. Selbst im Gefängnis bin ich nicht in Sicherheit.«
»Ihre Namen. Nennen Sie mir ihre Namen.«
»Ich kann nicht! Sie müssen jetzt gehen. Wärter!«
Der schweißgebadete Étienne Caillois gab dem Gefängnisaufseher ein Zeichen. Blandine presste sich an die Scheibe des Sprechzimmers.
»Warten Sie!«
Der Häftling beugte sich vor und flüsterte sehr schnell:
»Ich kann Ihnen nur sagen, dass Alice hergekommen ist, um mich um eine DNA-Probe zu bitten.«
»Eine DNA-Probe? Aber warum ...«
»Um zu beweisen, dass ich nicht der Vater ihrer Tochter war.«
Blandine starrte ihn an. Die Worte fehlten ihr. In diesem Moment blickte der Gefangene unverwandt etwas hinter ihr an, und seine Augen weiteten sich vor Schrecken, als würden sie aus den Höhlen springen.
»Guten Abend, Lieutenante Pothin.«
Die Stimme, die sich in ihrem Rücken erhob, ließ Blandine zusammenfahren. Unvermittelt drehte sie sich zu der Gestalt um, die mit dem Rücken zum Licht vor ihr stand. Sie erkannte die Person nicht sofort.
»Ko…Kommissar Rilk? Sind Sie das?«
Ohne zu wissen, wieso, drang die Angst in all ihre Glieder.
»Aber ... Aber was machen Sie denn hier?«
66
Paris,
Sondereinheit/OCLCTIC
Die Kälte lähmte seine Füße. Auf dem Gehsteig trat er von einem Fuß auf den anderen, während er in die Hände hauchte. Ein Auto fuhr ohne Licht die Rue de la Monnaie hinunter und hielt auf seiner Höhe an. Léo sah sich flüchtig um und stieg dann rasch ein.
»Hast du’s
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