Die elfte Geißel
gefunden?«
»Ich habe den Ort.«
Zoé Hermon ließ beim Schalten die Kupplung quietschen. Der Lieutenant zuckte zusammen, als die Hand der jungen Frau seinen Oberschenkel streifte. Sie fuhr mit Vollgas in die Place du Châtelet und raste in Richtung der Tunnel, die unter den Pariser Markthallen verlaufen.
»Ich habe die Dienstunterlagen kopiert. Jean-François Rilk zeichnet minutiös den täglichen Kilometerstand auf, um sich seine Auslagen rückerstatten zu lassen. Eine Chance für uns, dass er auf den Pfennig schaut und keinen Dienstwagen benutzt. Ich habe seine letzten Fahrtstrecken unter Berücksichtigung der Uhrzeiten, die du mir genannt hast und die ich in eine Karte übertragen habe, überprüft. Ich habe zwei Orte identifiziert, wo man Leichen beseitigen könnte. Die Mülldeponie von Malakoff und eine stillgelegte Fabrik in der Nähe von Montreuil. Ich habe die Öffnungszeiten der Müllkippe überprüft. Aber sie wird auch nachts bewacht. Ich würde also eher auf Montreuil tippen. Es ist eher eine schwache Spur, doch ich habe nichts Besseres.«
»Wir haben seit Beginn der Ermittlungen Pech gehabt, vielleicht wendet sich jetzt das Blatt«, antwortete ihr Léo und zog an der Zigarette.
»Willst du mir noch immer nicht sagen, was eigentlich los ist? Weshalb sind wir hinter einem Kommissar der Mordkommission her?«
»Ich habe Grund zu der Annahme, dass er ermittlungsrelevante Beweise unterdrückt. Er lässt Leichen verschwinden. Die Leichen von Amandine Clerc und dem jungen Mädchen sind, entgegen den Angaben im Register des Instituts für Rechtsmedizin, nie in der Polizeifachschule eingetroffen. Ich habe das überprüft. Außerdem beteuert ein Zeuge, Kommissar Rilk habe die Wohnung von Amandine leer geräumt.«
»Weshalb sollte er ihre persönlichen Sachen verschwinden lassen?«
»Wenn ich recht habe, wurde Amandine Clerc umgebracht, weil sie etwas herausgefunden hatte. Etwas, das mit Neverland zusammenhängt. Das Mädchen, das mit ihr starb, ist in dem Film zu sehen. Das bedeutet, dass Amandine die Spur bis zum Drehort zurückverfolgt hat. Ich vermute, dass sie sich ihrer Psychotherapeutin Clarisse Katz anvertraut hat.«
»Die ihrerseits gesehen hat, was sie nicht sehen sollte.«
»Amandine muss irgendwo Spuren ihrer Entdeckungen hinterlassen haben.«
Zoé fuhr mit lauter Stimme fort:
»Und du glaubst, dass sich alles in ihrem Computer befindet ...«
Der Horizont war wie gespickt mit Ziegelsteinschloten, die über einer schneebedeckten Fläche aufragten. Das GPS zeigte an, dass sie sich in einer Sackgasse befanden. Sie fuhren noch einige Hundert Meter, ehe sie auf ein großes Schild mit der Aufschrift »Betreten verboten« stießen, das den Weg versperrte.
»Da lang.«
Léo deutete auf eine Öffnung im Zaun. Zoé trat voll auf die Bremse und riss das Lenkrad herum. Der Wagen rutschte Richtung Straßenrand und durchbrach den Zaun, der die Karosserie verkratzte. Sie fuhren in einen Kiesweg hinein, der von entbeinten landwirtschaftlichen Maschinen gesäumt wurde, die von Raureif überzogen waren. Im Süden umhüllte ein gelblicher Lichthof den Stadtrand von Montreuil. Die imposante Masse einer stillgelegten alten Fabrik füllte die Windschutzscheibe aus und versperrte den Blick.
»Unheimlich ...«, äußerte Zoé.
Das unbebaute Gelände, das die Industriebrache säumte, war eine von Unkraut überwucherte Müllkippe. Sie parkten abseits des Weges, in der Nähe einer Reihe von Wohnmobilen mit aufgeschlitzten Dächern, die auf Leichtbausteinen standen, und wateten über gefrorene Schlammpfützen, bis zu den Lieferrampen.
Schienen und Rohre tauchten in die Dunkelheit ein. Sie gingen bis zu dem Loch, das in die Eisentür geschnitten worden war und von Efeu- und Brombeerranken überwuchert war. Den Tiefen der Fabrik entströmte ein beißender Geruch von Schwefel, Benzin und Aas. Léo ging als Erster hinein, die untere Gesichtshälfte zum Schutz vor dem Gestank von seinem Schal bedeckt. Er schüttelte seine Taschenlampe, und der Lichtkegel verlor sich in einem Labyrinth ineinander verkeilter metallischer Strukturen.
In der Haupthalle war ein Teil des Gebälks eingestürzt und hatte dabei die großen Dachfenster mit sich gerissen. Im Halbdunkel erstreckte sich ein halb zerfallenes, langes Fließband, das stellenweise in mit Brackwasser gefüllte Krater eingesunken war. Flechtentriebe hingen von Bauteilen herunter und wanden sich um Stahlpfeiler. Trotz der extremen Kälte in der Fabrik wärmte sich
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