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Die elfte Geißel

Die elfte Geißel

Titel: Die elfte Geißel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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ihre Hand unter ihre Achseln und ertastete die Waffe, die sie einschnürte. Ihr Instinkt wurde von einer dumpfen Angst gebremst.
    »Sie haben den Finger auf etwas gelegt, dem Sie nicht gewachsen sind, etwas, das Sie niemals hätten entdecken dürfen.«
    »Ich ... ich bin nicht die Einzige, die Bescheid weiß ...«
    »Falls Sie auf Léopold Apolline anspielen sollten – er hat auch nicht mehr sehr lange.«
    Diese letzten Worte waren wie ein Urteilsspruch. Blandine strich mit den Fingernägeln über den Lauf ihrer Pistole und kratzte über das Korn.
    »Wovon sprechen Sie?«
    Die Fingernägel folgten der Falz des Holsters und stießen auf den Druckknopf.
    »Alice stellte eine Gefahr für Freunde dar. Sehr einflussreiche Freunde. Und Sie kennen doch die Redensart: Die Feinde meiner Freunde ...«
    »Weshalb erzählen Sie mir all das?«
    Ihre Stimme schnappte über. Rilk riss das Steuer herum und wich knapp einer Menschenmenge aus, die aus der Avenue Georges-V herausstürmte.
    »Ich weiß, dass Étienne Caillois eine Anspielung auf mich gemacht hat. Und selbst wenn er mich nicht namentlich erwähnt hat, wären Sie schon bald von sich aus auf mich gekommen.«
    Er nahm den Fuß vom Gas. Die Gebäude ragten himmelwärts und schienen sich nahtlos aneinanderzufügen und ein riesiges Gewölbe zu bilden. Freier Fall. Sie stürzte ins Zentrum des Strudels, die Zeit existierte nicht mehr. Weder Vergangenheit noch Gegenwart noch Zukunft. Die Fluchtlinien liefen in einem ganz bestimmten Punkt zusammen. Ein Geständnis, das von einem Gesicht überlagert wurde. Und ringsherum war es nur schwarz.
    Die Leichen auf den Gleisen. Die U-Bahn, die die Körper zerschmettert. Rilk auf dem Bahnsteig über den toten Mädchen.
    Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen. Und schon beschlich sie eine panische Angst.
    ER saß neben ihr.
    ER. Amandines Mörder.
    »Dabei habe ich Ihnen deutlich zu verstehen gegeben, sich aus dieser Sache rauszuhalten.«
    Es ging über ihren Verstand. Der tief bekümmerte Mann, den sie im Krankenhaus, an Pauls Bett, gesehen hatte, war verschwunden. Von diesem Menschen war nichts mehr übrig, sodass sie sich fragte, ob sie nicht geträumt hatte, dass jemand – irgendjemand – ihren Schmerz teilte, einen Teil dieser unerträglichen Last von ihren Schultern nahm. Sie hörte nicht mehr die lächerlichen Rechtfertigungen von Jean-François Rilk.
    »Ich glaube, dass unsere Gesellschaft am Ende ist, Pothin«, fuhr er fort. »Es gibt nichts mehr zu retten. Keine Ideale mehr, kein Glauben mehr. Gott, die Idee des Guten, einer höheren Ordnung, all dies ist längst zerbrochen. Hören Sie, Pothin, ich wirke lieber am Sturz des Systems mit, indem ich Leuten wie Montoya helfe, denn ihr Zynismus widert mich wenigstens nicht an. Ich mache das nicht einmal wegen des Geldes. Ich behaupte nicht, dass mir der Gedanke missfällt, meinen Lebensabend auf einer Südseeinsel zu verbringen, aber es geht um mehr. Ich wünsche mir nichts anderes, als dass dieser ganze Mist eines Tages weggefegt wird, ein Großreinemachen, und wenn ich einen kleinen Beitrag dazu leisten konnte, wäre das nicht übel.«
    Seine Augen funkelten seltsam. Blandine wollte schreien. Rilk war schneller. Seine Faust traf sie am Kinn. Ihr Kiefer schien zu zersplittern. Knochen knackten. Sie hatte einen kupferartigen Geschmack von Blut in ihrem Mund. Ihre Hand suchte nach ihrer Waffe. Ihre Finger waren zu schwach, um den Kolben festzuhalten. Der Schein der weihnachtlichen Lichterketten und die Funken, die die Fassaden emporschlugen, waren nur noch eins.
    Nicht ohnmächtig werden. Vor allem nicht ohnmächtig werden.
    Ihr Körper sackte in sich zusammen. Ihre Stirn stieß gegen das Armaturenbrett. Die Wolkenbänder am Himmel schlangen sich ineinander und wickelten sich spiralförmig um einen unsichtbaren Punkt.

71
Guéret,
Haus des Rechtsmediziners,
Sondereinheit
    »Im ersten Stock brennt Licht«, sagte Musil.
    Broissard stellte den Motor ab. Am Ende eines von Hortensien gesäumten Weges sah man die dunkle Silhouette eines imposanten zeitgenössischen Hauses. Es herrschte eine eisige Stille.
    »Glauben Sie, dass er zu Hause ist?«
    »Der Pförtner des Instituts für Rechtsmedizin hat mir gesagt, er habe am Abend seinen Hochzeitstag feiern wollen.«
    Broissard sammelte die Obduktionsberichte vom Armaturenbrett ein. Er bedauerte es, dass er Carrère mit so wenigen Indizien auf die Suche nach Informationen geschickt hatte. Sie suchten die sprichwörtliche Nadel im

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